Putin-Vertrauter: "EU-Sanktionen grenzen an Masochismus"

Putin-Intimus Wladimir Jakunin
Putin-Intimus Wladimir JakuninBruckberger
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Die Nähe zu Putin brachte ihn auf die Sanktionsliste der USA. Im Interview erklärt Wladimir Jakunin,Chef der Russischen Eisenbahnen, was Moskau vom Westen denkt.

Wie leben Sie damit, dass Sie seit dem Vorjahr auf der US-Sanktionsliste stehen?

Wladimir Jakunin: Nicht schlecht. Ich kann mich zum Beispiel hier in Berlin mit Ihnen treffen. Für unser Unternehmen sind Sanktionen ein Problem, weil wir ein ökonomisches Entwicklungsmodell für den Eisenbahntransport erstellen müssen, ohne Zugang zu europäischen Finanzmärkten zu haben.

Sie stehen Wladimir Putin sehr nahe. Es heißt, dass die Silowiki, also Militär und Geheimdienste, ihren Einfluss auf ihn zulasten der Wirtschaftsliberalen vergrößern.

Was meine Nähe zu Putin angeht: Der Präsident bestimmt immer noch selbst, wer ihm nahesteht und wer nicht. Ich mache nur, was mir aufgetragen wird. Zudem sind Begriffe wie Silowiki, Liberale oder Modernisierer sehr pauschale Bezeichnungen. In der jetzigen Lage müssen Regierung und Staat sich auf die wichtigsten Projekte konzentrieren. Dazu gehört auch die Sozialpolitik in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten.

Ist die Ostukraine auf dem Weg zum Frieden, oder ist das jetzt die Ruhe vor dem nächsten Sturm?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der Schlüssel zur Lösung des Konflikts liegt weder in Minsk noch in Kiew noch in Moskau. Er liegt in Washington.

Das müssen Sie uns erklären.

Stellen Sie sich doch einmal die Frage: Cui bono? Wem nützt der Konflikt? Der Leiter der Denkfabrik Stratfor in Texas, George Friedman, hat einmal gesagt, die Vorstellung, Russland und Europa könnten ihre wirtschaftlichen Ressourcen – also europäische Technologie und russische Rohstoffe – vereinen, sei ein Albtraum für die USA. Die Sanktionen nützen der US-Wirtschaft und ihren Banken. Und die Europäer machen mit und schwächen sich selbst damit. Das grenzt an Masochismus.

Mit der Folge, dass Russland sich China annähert. Bleiben wir bei Ihrer Logik: Ist das dann besser für die Vereinigten Staaten?

Von zwei Übeln wählen die USA das geringere. China beunruhigt die Amerikaner weniger. Ich kenne allerdings keinen ernst zu nehmenden Politiker in meinem Land, der China als Ersatz für eine Kooperation Russlands mit Europa und den USA ansehen würde. Unter dem Einfluss der von den USA vorgeschlagenen Sanktionen muss Russland allerdings neue Absatz- und Bezugsmärkte suchen.

Ihres Erachtens wollen die USA einen Keil zwischen die EU und Russland treiben. Kann man nicht dem Kreml dasselbe vorwerfen? Moskau nutzt zum Beispiel den Fall Griechenlands, um die EU zu destabilisieren.

Was erwarten Sie? Dass wir uns isolieren lassen? Da wären wir dumm. Man lässt uns doch gar keine andere Wahl, als solche Gelegenheiten zu nutzen.

Sie greifen in der Ukraine-Frage die EU und die USA scharf an. Aber was hat denn Russland falsch gemacht?

Über Jahre haben wir die Entwicklungen in der Ukraine nicht richtig eingeschätzt. Deshalb haben wir es in der Phase der guten Beziehungen nicht geschafft, unsere westlichen Partner von den Gefahren zu überzeugen, die von der Ukraine ausgehen. Alles wurde dahingehend interpretiert, dass es Russlands Wille sei, die Ukraine in der Einflusszone Russlands zu halten und dass der Westen die Ukraine mit offenen Armen in die EU aufnehmen will. Aber Sie und ich wissen, dass der Westen die Ukraine mit ihren Schulden und ihrer zerstörten Wirtschaft nicht in die EU aufnehmen will. Die Frage ist also nicht, mit wem die Ukraine sein will. Die Frage ist, wie wir gemeinsam die Ukraine wieder aufbauen können.

Wenn man die Sanktionen in einigen Monaten aufhebt, können dann die alten guten Beziehungen Russlands mit dem Westen wiederhergestellt werden?

Der Punkt der endgültigen Entzweiung wäre wohl erst mit einem aggressiven, bewaffneten Konflikt unter Beteiligung Russlands erreicht.

Aber diesen hat es doch schon gegeben.

Das behaupten Sie. Aus unserer Sicht ist das ein innerukrainischer Konflikt. Aber lassen Sie uns nicht über Fakten streiten, bei denen wir an diesem Tisch auf keinen gemeinsamen Nenner kommen werden. Es sollte unsere Aufgabe sein, diesen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, nicht zuzulassen.

Würden Sie zustimmen, dass Russland als Staat nicht sehr effizient arbeitet?

Ja. Auch wenn ich fürchten muss, dass ich dafür eine auf die Rübe bekomme, wenn das Interview veröffentlicht ist. Aber das finanzökonomische Modell selbst, das im Westen und eben auch immer noch in Russland praktiziert wird, ist nicht richtig. Es ist auf die Vorteile derer ausgerichtet, die es erfunden haben und der Welt aufzwingen.

Aber ist nicht das Problem der russischen Wirtschaft, dass sie immer noch viel zu stark vom Öl- und Gasexport abhängig ist?

Auch Australien ist eine sehr von Rohstoffen abhängige Wirtschaft und lebt dabei gut. Unsere Rohstoffabhängigkeit ist vor allem eine Folge aus der Zeit nach der Perestrojka, als die Deindustrialisierung eingeleitet wurde. Darin liegt das Problem – und nicht darin, dass wir viel Gas oder Kohle haben.

Eines der Probleme ist doch, dass Eigentumsrechte nicht geschützt werden, weil staatliche Institutionen nicht funktionieren.

Viele russische Unternehmer sorgen sich in der Tat, wie sie ihren Betrieb übergeben sollen, wenn noch immer ein Erb- und Stiftungsgesetz fehlt. Sie haben recht: Es fehlt an funktionierenden staatlichen Institutionen. Aber in China fehlen sie auch – und die Wirtschaft entwickelt sich trotzdem.

Derzeit ist viel die Rede davon, dass der Ölpreisverfall und die Sanktionen zu einer Umorientierung der russischen Wirtschaft führen. Was denken Sie?

Unsere Optimisten sagen, dass die Sanktionen gut sind, weil wir dadurch endlich kapieren, dass wir unsere Wirtschaft diversifizieren müssen. Aber wo waren diese Optimisten früher?

Der Vizestabschef im Kreml, Wjatscheslav Wolodin, hat 2014 gesagt: „Kein Putin, kein Russland.“ Aber auch Putin wird nicht ewig leben. Was wird nach ihm geschehen?

Wolodin ist Politiker, ich bin nur Bürger. Ich verweise daher auf einen Hierarchen einer orthodoxen Kirche, der gemeint hat: „Gott hat dem russischen Staat Putin geschenkt.“ Man kann zur Person unterschiedlich stehen, aber bei angemessener Einschätzung spiegelt Wolodins Formulierung den stabilisierenden Faktor Putins in der Gesellschaft wider. Das heißt überhaupt nicht, dass jemand an dessen Unsterblichkeit glauben würde. Aber es heißt, dass die Gesellschaft Anführer hervorbringen muss, die in schweren Zeiten das Staatsruder in die Hand nehmen.

Putin wurde sowjetisch sozialisiert, ist 62Jahre alt und 15 Jahre an der Macht. Ein tragfähiges Wirtschaftsmodell hat er nicht errichtet. Kann er sich überhaupt noch neu erfinden, damit er es nun besser macht?

Das ist die interessanteste Frage, die ich je gestellt bekommen habe. Nehmen Sie mich: Ich habe nie Wirtschaft studiert, bin mehr der Praktiker. Ich wollte nie wissenschaftlich tätig sein, habe aber dann wissenschaftlich gearbeitet, weil der Kreml-Chef meinte, es sei ein Defizit, wenn der Präsident der Russischen Eisenbahnen keinen akademischen Titel habe. Dem stand auch mein Alter nicht im Weg. Es hängt vom Charakter ab. Wer will, entwickelt sich. Wer nicht will, ist mit 30 schon ein Greis.

Warum soll Putin wandlungsfähig sein?

Auch 15 Jahre an der Macht erlauben es einem Menschen nicht, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen oder das Gefühl für die Dynamik der Entwicklung zu verlieren. Putin lebt den Prozess ständiger Entwicklung und Veränderung der eigenen Ansichten.

ZUR person

Wladimir Jakunin (66) steht seit Juni 2005 den Russischen Eisenbahnen (RZD) als Präsident vor.

Die staatlichen Eisenbahnen, die 2014
99,3 Mrd. Rubel (1,8Mrd. Euro) Verlust gemacht haben, sind mit 830.000 Mitarbeitern landesweit größter Arbeitgeber.

Seit 2000, als Wladimir Putin in den Kreml einzog, war Jakunin Vizeminister für Verkehr.

Mit Putin verbindet den Doktor der Politikwissenschaften eine langjährige Freundschaft. Sie sind Gefährten aus KGB-Zeiten und waren sogar Datschennachbarn in St. Petersburg. Demnach zählt Jakunin zu Putins engstem Zirkel.

Seit April 2014 steht Jakunin auf der Sanktionsliste der USA, in denen er zwischen 1985 und 1991 als Diplomat der sowjetischen Mission bei der UNO gelebt hat.

Jakunin ist Gründer und Präsident des Thinktanks World Public Forum Dialogue of Civilizations.

Stanislav Jenis

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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