Lettlands Außenminister sieht "enorme Propagandamaschine" Russlands

SLOVAKIA V4 EASTERN PARTNERSHIP MEETING
SLOVAKIA V4 EASTERN PARTNERSHIP MEETINGAPA/EPA/JAKUB GAVLAK
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Edgars Rinkēvičs, Außenminister von Lettland, über baltische Ängste vor Russland nach der Krim-Annexion und seinen Vergleich mit dem Deutschen Reich.

„Je mehr ich das moderne Russland beobachte, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass es wie das Deutsche Reich nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg enden und es zu spät sein wird.“ Bereuen Sie diesen viel kritisierten Twitter-Eintrag, in dem sie eine Parallele zwischen Russland und dem Nazi-Regime ziehen?

Edgars Rinkēvičs: Das war eine sehr direkt formulierte Warnung, dass ich über die erstaunlichen Parallelen zu der Geschichte, die wir hier in der Region vor mehr als 70 Jahren erlebt haben, sehr besorgt bin. Wir müssen die internen Entwicklungen in Moskau, seine Propaganda und die sehr aggressive Rhetorik gegenüber der Nachbarschaft sehr ernst nehmen. Ich sage damit nicht, dass Lettland irgendwelchen militärischen Risken ausgesetzt ist. Noch ist es für Russland auch nicht zu spät, seine Nachbarschaftspolitik zu ändern.

Glauben Sie, dass Ihre Rhetorik dabei hilft?

Wir werden ständig von Moskau beschuldigt, dass in Lettland Neonazis am Werk seien, was schlicht falsch ist. Auch wenn wir scharf formulieren: Russland kann kein Monopol darauf haben, andere des Nazismus und des Faschismus zu beschuldigen. Es liegt auch an Moskau, seine Rhetorik zu ändern.

Sie sagen, es gibt keine militärische Risken. Warum dann diese große Besorgnis?

Wenn ich sage, es gibt keine direkte militärische Bedrohung für das Baltikum, dann beziehe ich mich auf Artikel 5 der Nato (Bündnisfall; Anm.), man weiß in Russland, dass jeder aggressive Schritt zu einem Engagement der Nato führen würde. Aber ich sehe zugleich diese enorme Propagandamaschine arbeiten. Wir haben auch schon kleine Provokationen erlebt, als etwa an der estnisch-russischen Grenze ein Beamter der Sicherheitspolizei entführt wurde. Er sitzt noch immer in Moskau. Und was auf der Krim passiert ist, hat die Öffentlichkeit hier mit großer Besorgnis wahrgenommen, weil es uns an unsere Geschichte, die sowjetische Okkupation, erinnert hat. Zugleich gibt es russisches Militär in der Ostukraine. Und es gibt Drohungen mit Nuklearwaffen, die selbst im Vergleich zur Sowjetunion beispiellos sind.

Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Wenn diese Rhetorik niemand ablehnt, dann besteht die Gefahr, dass sich einige denken könnten: „Okay, die Statements sind ihnen egal, gehen wir weiter. Man sollte daher ziemlich aktiv mit der aktuellen Situation umgehen.

In Lettland und Litauen wurden russische TV-Sender zwischenzeitlich abgeschaltet. Ist das nicht eine gefährliche Entwicklung?

Ein sehr schwieriges Thema. Wir hier wissen ja noch, wie es war, als man sich vor 30 Jahren im Fernsehen nicht ausdrücken durfte; und wir wollen daher, dass alle politischen Freiheiten gewahrt bleiben. Zugleich sehen wir, dass unsere Freiheiten und Werte gegen uns verwendet werden. Es gibt in Lettland, wie in vielen europäischen Ländern, ein Gesetz gegen Volksverhetzung. Manchmal muss eine unabhängige Behörde diese schwierige Entscheidung treffen. Das sollte aber ein letztes Mittel sein und unter strikter juristischer Kontrolle stehen.

Was glauben Sie, ist Putins Plan?

Wir sollten bedenken, dass der Kollaps der Sowjetunion zwar eine großartige Nachricht für uns war, aber nicht für viele Russen, die das Gefühl haben, an Größe verloren zu haben. Nun gibt es Versuche, einen verlorenen Status zurückzugewinnen. Das ist auf lange Sicht sehr gefährlich, mag aber kurzfristig für viele Anziehungskraft haben.

Es gibt in Lettland mehr als 30 Prozent russischsprachige Bewohner, 280.000Nichtbürger – meist ethnische Russen, die nach der Unabhängigkeit keine lettische Staatsbürgerschaft erhalten haben. War diese Politik ein Fehler, der sich nun rächen könnte?

Das Prozedere zum Erhalt der Staatsbürgerschaft ist relativ simpel. Die Zahl der Nichtbürger wurde deutlich kleiner. Am Anfang waren es um die 700.000. Wenn man sich die Umfragen ansieht, gibt es zwar viele Russischsprachige, die Putins Krim-Politik unterstützen. Wenn man sie aber fragt, ob sie dieselben Entwicklungen auch hier sehen wollen, dreht sich das um: Das wollen sie nicht. Das ist der Unterschied.

EDGARS Rinkēvičs

Der 41-jährige Edgars Rinkēvičs ist seit 2011 lettischer Außenminister. Davor arbeitete der Politikwissenschaftler kurze Zeit als Journalist, später im Verteidigungsministerium – und dabei auch maßgeblich am Nato-Beitritt seines Landes mit. Rinkēvičs gehört der liberal-konservativen Partei Einheit an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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