Eine Kurve, Alkohol, ein Toter

Bei einem Autounfall stirbt ein Mann. Der Unfalllenker war angeblich alkoholisiert. Im Lokal hat er aber nicht getrunken.

Ganz würde sich Anna Bergmann, Kommandantin der Polizeiinspektion Schladming, nie daran gewöhnen können, dass Leichen zu ihrem Geschäft gehörten. Sie musste sich jedes Mal abschotten, um ihre Arbeit machen zu können.

Die scharfe Rechtskurve der breiten Straße gleich nach der Tourismuszentrale hinauf nach Rohrmoos in Schladming war bekannt, aber als Unfallort nicht berüchtigt. So verwunderte es, dass ein Auto mit zerquetschtem Vorderteil auf der Fahrerseite genau dort quer stand. Der Fahrer, ein junger Mann um die 30, hatte nicht überlebt.

Es war eindeutig ein Zusammenstoß mit einem anderen Auto gewesen. Das andere Auto fehlte. Aber nicht lange. Rasch gab es die Meldung von der Polizeiinspektion, ein Mann sei dort angekommen und habe ausgesagt, dass er am Unfall beteiligt gewesen sei. Der andere habe von Schladming kommend die Kurve geschnitten. Bald ließ sich nachweisen, dass er ihn auch geschnitten hatte. Es gab keine Bremsspuren. Eine Prozentfrage bei der Unfallschuld würde es werden, meinte ein Polizist mit Erfahrung.

Das Auto des Unfalllenkers war ein großer Geländewagen gewesen, das Auto mit dem Toten ein kleiner Dacia. Der Unterschied war: ein kleiner Blechschaden am Vorderteil des großen gegen den Toten im kleinen. Der Lenker des Großen war unverletzt und behauptete, unter Schock gestanden zu sein. Deshalb sei er weggefahren. Die Fahrerflucht täte ihm nun sehr leid. Sein Anwalt, den er mitgebracht hatte, hatte bereits eine lange Liste von Gutpunkten für seinen Mandanten vorgelegt. Gegen die Alkoholisierung von 1,2 Promille konnte auch der Anwalt nichts ausrichten.

Auf der Polizeiinspektion vernahm Anna den alkoholisierten Unfalllenker. Er war 59, gut situierter Geschäftsmann, gut aussehend für sein Alter und präsentierte sich als Mischung zwischen zerknirschtem Sünder und selbstbewusstem Mann. Er habe im bestens bekannten Gasthof „Waldfrieden“ zwei Bier und einen großen Lärcherlschnaps konsumiert. Er hatte gedacht, er käme noch rechtzeitig heim, bevor der Alkohol wirken würde.

Zwei Tage später meldete sich bei der Polizeiinspektion eine anonyme Stimme und behauptete, die Frau des Unfalllenkers habe ein Verhältnis mit dem Unfalltoten gehabt. Anna war deshalb nicht zu erschüttern. Auf dem weiten Feld der Beziehungen gab es alles, was denkbar war. Die ebenso gut aussehende, deutlich jüngere Frau des gut aussenden Geschäftsmannes gab das Verhältnis sofort zu. Sie wollte weder auf das Wohlstandsleben noch auf den besseren Sex verzichten. Ihr Mann habe von nichts gewusst, war sie sich sicher. Er war eifersüchtig und hätte sich sofort scheiden lassen. Sie und ihr Liebhaber waren daher sehr, sehr vorsichtig gewesen. Auch der Liebhaber habe profitiert, sagte sie. Sie habe ihn ein wenig ausgehalten. Ein paar tausend Euro im Monat wären es insgesamt schon gewesen: „Er arbeitet nicht wirklich intensiv.“ Seine Partnerin habe nichts gewusst. Auch sie sei eher auf der eifersüchtigen Seite gewesen und deutlich älter als er.

Eine Woche danach überraschte die Aussage eines Kellners vom „Waldfrieden“ die Schladminger Polizei. Der Mann habe im Lokal keinen Alkohol getrunken. Die Prüfung der Registrierkasse unterstützte die Aussage. In der fraglichen Zeit, an einem gästearmen, frühen Nachmittag, war kein großer Lärcherlschnaps, auch kein kleiner, ausgeschenkt worden.

Der Unfalllenker wurde damit konfrontiert und reagierte extrem aggressiv. „Der Kerl ist von meiner Frau gekauft worden. Sie will mich loswerden.“ Die Frau wies die Beschuldigung zurück und betonte, es gebe Probleme in der Ehe, aber keine so schweren, dass sie sich würde scheiden lassen. Die Vorteile der Beziehung würden für sie deutlich überwiegen. Der jüngere Geliebte habe keine Bedeutung für sie. Er sei leicht zu ersetzen.

Der Tote konnte zu den Beziehungsproblemen seine Sicht der Dinge nicht mehr beitragen. Seine Partnerin war zugeknöpft, gestand mit Mühe ein, dass sie ihn ein- oder zweimal getroffen habe, auf ihrer einsamen Almhütte im hinteren Untertal. Es sei aus ihrer Sicht reines Vergnügen ohne tiefere Absichten gewesen.

Der Unfalllenker gab schließlich zu, rasch heimgefahren zu sein, den Alkohol im Form von Schnaps in sich hineingeschüttet zu haben und nach zwei Stunden alkoholisiert die Polizeiinspektion aufgesucht zu haben.

Warum er sich so verrückt verhalten habe, wollte er nicht sagen. Ein Unfall mit einem Toten und Fahrerflucht sowie Alkoholisierung war vor Gericht viel teurer als ohne Alkoholisierung.

Anna hatte zwei Gockel und zwei Hennen, die mit den Gockeln herumspielten. Und eine Leiche, deren Verursacher sie herauszufinden hatte.

Viele Nachfragen ergaben, dass die jüngere Frau ihren älteren Gatten dringend nach Hause gerufen hatte. Sie sagte ihm daheim, dass ihre Mutter gestorben sei, sie geerbt habe und sich daher endlich von ihm trennen könne. Daraufhin trank er seine Menge.

Die ältere Frau hatte gestanden, dass der ältere Mann eine alte Tanzschulliebe gewesen sei, die aus ihrer Sicht ganz plötzlich wieder aufgeflammt wäre. Jüngerer Liebhaber hin oder her.

Auf dem Handy des Getöteten fand sich ein Anruf seiner älteren Geliebten, die ihn dringend zu sich rief. Auf dem Handy der älteren Frau fand sich ein etwas früherer Anruf der jüngeren Frau, in dem sie ihr die Gesamtlage aus ihrer Sicht erklärte. Sie wollte beide Männer loswerden. Die ältere, erfahrenere Frau hatte ihre Gefühle nicht mitgeteilt. Der Unfalllenker gestand, dass er beim jüngeren Mann Schulden hatte, große Schulden, die er nicht zurückzahlen konnte. Der jüngere forderte das Geld ganz dringend, um seinen eigenen Konkurs abzuwenden.

Sie wollten im „Waldfrieden“ darüber verhandeln. In der Kurve trafen sie aufeinander, erkannten einander und fuhren aufeinander zu. Anna sagte nur: „Ein Blechschaden mit Todesfolge als letztes Glied einer langen Kette menschlichen Leichtsinns.“


War es wirklich ein Unfall?

Der Autor

Günter Lehofer
war Politikredakteur in der „Kleinen Zeitung“. In der Pension begann er, Krimis zu schreiben. Sein erster liegt nun vor: „Anna und die Südwand“, ein Schladming-Krimi. Besonders freut ihn, dass es ihm gelungen ist, eine Frau als Kommandantin einer Polizeiinspektion durchzusetzen.

Fischer

www.krimiautoren.at


Lösung der vergangenen Woche:

Martin vermutet, dass es hier gar nicht um die Ausbootung der Konkurrenz ging, sondern um einen gezielten „Anschlag“ auf den Bürgermeister. Und da dieser zuletzt den Lehrern „ans Bein gepinkelt“ hat, wäre eine Racheaktion naheliegend und deckt sich mit dem Indiz, dass der Lehrer sich den Schuh mit der austretenden Säure verätzt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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