Die westlichen Bräute der Jihadisten

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Was bringt junge Frauen aus Europa dazu, sich der Terrormiliz Islamischer Staat anzuschließen? Sie hoffen auf Zugehörigkeit und Schwesternschaft, meinen britische Forscher.

Wien/London. Am 26.Juni 2014 meldeten die Halanes ihre Zwillinge als vermisst: Salma und Zahra, beide 16 Jahre alt, waren nicht in das Haus ihrer Familie in Manchester zurückgekehrt. Vorerst fehlte von den in Somalia geborenen Mädchen jede Spur, doch wenige Monate später wurde klar: Die exzellenten Schülerinnen, von denen man dachte, dass sie studieren würden, waren aus Großbritannien nach Istanbul geflogen und hatten sich dann auf dem Landweg nach Syrien durchgeschlagen, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen. In Syrien angekommen, wurden die Zwillinge rasch mit IS-Kämpfern verheiratet.

Mittlerweile sind sie beide Witwen und haben sich dem Online-Propaganda-Krieg des IS sowie der Rekrutierung von weiteren Frauen aus dem Westen verschrieben. Besonders Zahra ist in sozialen Medien wie Twitter und Facebook äußerst aktiv und liefert Experten in Großbritannien Einblicke in den Alltag der sogenannten Bräute der Jihadisten.

Das Londoner Institute for the Study of Radicalization des renommierten King's College hat die Internetpräsenz von rund 100 Frauen aus dem Westen untersucht, die nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, um ihr Leben in den Dienst des IS zu stellen. In einer am Donnerstag präsentierten Studie beschreiben die beiden Autorinnen Melanie Smith und Erin Saltman die Motive der Frauen. Und sie machen klar: Das, was sich die meisten westlichen Frauen von einem Leben in einem IS-Kalifat erhoffen, deckt sich nicht mit dem, was die IS-Kämpfer in Syrien und im Irak von ihnen erwarten.

Kämpfen verbietet die Scharia

IS-Chef Abu al-Baghdadi hat mehrfach Frauen öffentlich dazu aufgerufen, sich dem IS anzuschließen; er selbst ist angeblich mit einer Deutschen verheiratet. Er zieht aber klare Grenzen: Frauen haben eine traditionelle Rolle zu erfüllen. Sie sollen den Kämpfern gute Ehefrauen sein und in erster Linie für eine neue Generation Jihadisten sorgen. Erlaubt wird ihnen auch die Rekrutierung von weiteren Frauen aus dem Westen sowie die Beteiligung am Online-Propagandakrieg. Auch wenn im Internet immer wieder Bilder auftauchen, die Frauen mit Waffen vor der schwarzen Flagge der Terrormiliz zeigen: Eine aktive Beteiligung an Kampfhandlungen ist Frauen aufgrund der strikten Auslegung des islamischen Rechts verboten.

Doch warum fühlen sich Frauen aus dem Westen zu den radikalen Ideen islamistischer Männer hingezogen? Junge Mädchen wie die beiden Wienerinnen Samra und Sabina, die 15 und 16 Jahre alt waren, als sie 2014 nach Syrien reisten.

Sie wollen die Frauen von Märtyrern werden – diese vereinfachende Erklärung greife viel zu kurz, warnen die Studienautorinnen, und verhindere sämtliche Anstrengungen, die Radikalisierung (weiblicher) Jugendlicher zu verhindern. „Denn so werden die Frauen nicht ernst genommen“, sagt Autorin Smith.

Viele machen eine Identitätskrise durch (bedingt durch ihr Alter, aber auch durch ihre Zugehörigkeit zur zweiten oder dritten Generation an Migranten), sie fühlen sich sozial und kulturell isoliert und hinterfragen die westliche Kultur. Durch das Tragen eines Kopftuchs oder eines Schleiers erfahren sie in ihrer Heimat Ablehnung. Sie sehnen sie sich nach Schwesternschaft, nach Gleichgesinnten, nach Zugehörigkeit. Sie würden sich als Pilger sehen, die beim Aufbau eines neuen Staats, eines islamischen Kalifats, dabei sein wollen, so Smith.

Ein breites Profil von möglichen IS-Sympathisantinnen lässt sich nicht erstellen: Die Autorinnen sind sich einig, dass weder Ethnie noch Milieu eine entscheidende Rolle spiele. Die Zwillinge Salma und Zahra kamen zwar aus einem islamisch-konservativen Elternhaus, hatten aber die Chance auf eine akademische Karriere.

Eine weitere Britin, nur als „Sham“ bekannt, ist Ärztin. Und eine 16-Jährige aus Wien Meidling, die erst diese Woche von einem Wiener Gericht vom Vorwurf, den IS zu unterstützen, freigesprochen wurde, war erst vor einem Jahr zum Islam konvertiert. Sie wollte mit ihrem tschetschenischen Freund von Wien aus in den Jihad ziehen.

Realität des harschen Alltags

Doch die romantisierenden Vorstellungen vom islamischen Utopia treffen in Syrien und im Irak auf die harsche Realität: Viele stranden ohne Selbstverständlichkeiten des westlichen Alltags wie Fließwasser in ländlichen Gegenden, ihre Männer sind nur kurz zwischen Kampfeinsätzen zu Hause, aufgrund der Sprachbarrieren droht die Isolation. Nach nur kurzer Ehe bleiben die meisten allein zurück, mit einem Baby, aber als Witwe eines „Märtyrers“.

>>> Zum Bericht des ICSR

FAKTEN

Auf Seiten des Islamischen Staats kämpfen laut Schätzungen derzeit rund 4000 Ausländer (davon etwa 220Österreicher), mehr als 550 von ihnen sind Frauen, viele minderjährig. Ihnen kommt in erster Linie eine passive Rolle zu: Sie sollen den IS-Kämpfern gute Ehefrauen sein und für Nachkommen sorgen. Einige kümmern sich aber auch für die Rekrutierung weiterer Frauen aus dem Westen sowie um Online-Propaganda via Twitter und Facebook.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)

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