Maria Vassilakou: „Integration war gestern“

Maria Vassilakou
Maria Vassilakou(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die grüne Vizebürgermeisterin hat die Integrationsagenden übernommen, aber keine Präferenz für das Ressort. Den „Inserate-Bauchladen“ der Stadt will sie auflösen.

Die Presse:Grüßen Sie Şenol Akkılıç derzeit eigentlich?

Maria Vassilakou: Bis jetzt sind wir uns nicht über den Weg gelaufen.

Nachdem Akkılıç sich verabschiedet hat, sind die Integrations- und Migrationsagenden wieder zu Ihnen gewandert.

Ja. Der Erfolg von ?enol Akkılıçs Überlaufen besteht quasi darin, dass Integration bei den Grünen wieder Chefsache ist.

Sie kehren damit zu Ihren Wurzeln zurück. Sie waren ja Integrationssprecherin.

Ja, und es bereitet mir auch große Freude.

Heißt das, dass Sie im Fall einer Fortsetzung von Rot-Grün gern das Integrationsressort hätten?

Wir streben einen zweiten Stadtrat an, aber es gibt keine explizite Präferenz für die Integrationsagenden.

Warum eigentlich nicht?

Erstens hängt das vom Verhandlungsergebnis ab, zweitens haben wir in den vergangenen Jahren abseits meines Ressorts zwei Schwerpunkte entwickelt: Wohn- und Schulpolitik. Und ich glaube, dass zentrale Fragen der Integration nur im Kindergarten und in der Schule angegangen werden können.

Welche sind das?

Zunächst: Integration ist ein veraltetes Wort. Die Hälfte der Wiener Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Integration war gestern. Heute geht es um Akzeptanz und Förderung. Die größte Baustelle ist sicher die Schule. Wenn mehr als ein Viertel der Jugendlichen und mehr als die Hälfte der Tafelklassler österreichische Staatsbürger sind, ihre Eltern aber nicht Deutsch als Muttersprache haben, reden wir von keinem Nischenthema, sondern von der Mitte der Gesellschaft. Leider ist das Wiener Schulsystem nicht ausreichend dafür gerüstet.

Was macht Wien falsch?

Damit die Kinder bei der Einschulung gut Deutsch sprechen, fordere ich eine Kindergartenplatzgarantie ab dem zweiten Lebensjahr. Zudem müssen jene, die als Quereinsteiger in die Schule kommen, schnell Deutsch lernen können. Unter anderem dafür braucht es tausend zusätzliche Lehrer. Wien hat bundesweit den schlechtesten Betreuungsschlüssel. Das kostet etwa 30 Mio. Euro, aber die sind gut investiert.

Könnte die Stadt bei sich sparen? Den Stadtschulrat streichen?

So weit muss man nicht gehen. Aber es sollte kein politisches Aufsichtsorgan sein, sondern eine Serviceeinrichtung für die Schulen. Generell muss man den Schulbereich entpolitisieren, die Schulen müssen autonomer werden können bei der Auswahl ihres Personals und der Unterrichtsmethoden.

Wir haben viel über Bildung geredet. Ist etwas dran am Akkılıç- Vorwurf, dass die Grünen das Thema Flüchtlinge verdrängen?

Das ist absurd. Die Grünen sind die einzige Partei, die seit Jahrzehnten für ein faires Asylrecht kämpft. Im Übrigen finde ich Kritik von jemand, der zu einer Partei gewechselt ist, die gerade das Asylrecht verschärft, schlicht unglaubwürdig.

Sie sprechen von den Bundesgrünen. Aber zwischen dem, was die sagen, und dem, was Grüne in den Ländern tun, ist ein Unterschied. Auch grün mitregierte Länder wie Tirol und Salzburg sind bei der Quotenerfüllung säumig.

Die Kolleginnen müssen die Versäumnisse ihrer Vorgänger aufholen. Zudem haben wir rund 1000 neue Asylanträge pro Woche. Damit die Länder ihren Pflichten nachkommen können, muss man ihnen das Rüstzeug dafür geben und die Tagsätze erhöhen. Derzeit ist der Tagsatz 19 Euro. Darum findet man kaum ein Quartier.

Tirol hat sich lang gegen ein Verteilerzentrum gewehrt. Das hat nichts mit Tagsätzen zu tun.

In Innsbruck eröffnet im Juli ein Verteilzentrum. In Landesregierungen mit grüner Beteiligung werden Vereinbarungen gehalten. Es wird versucht, bestmögliche Betreuung zu ermöglichen. Das ist für Grüne eine Haltungsfrage. Ob im Detail die Qualität der Betreuung an einem Standort als geeignet empfunden wird, ist eine andere Sache. Für Wien ist es einfacher, weil wir viele leere Objekte haben.

In Wien melden sich die Grünen aber auch kaum aktiv zu Wort.

Wie Sie wissen, war Herr Akkılıç bis vor Kurzem dafür zuständig.

Er sagt, er wäre von der Partei eher zurückgehalten worden.

Ach ja? Und wer hält ihn jetzt gerade zurück, gegen die Asylverschärfung der SPÖ zu protestierten? Wer etwas zu sagen hat, lässt sich den Mund nicht verbieten.

Das heißt, er hat einfach einen schlechten Job gemacht?

Ich will ihm kein Zeugnis ausstellen. Die SPÖ wird ihm jedenfalls keine Protest-Presseaussendung zum neuen Asylrecht machen.

Apropos Medien: Die Grünen wollen die Zahl der Inserate der Stadt senken? Um wie viel?

Ich könnte jetzt sagen: um ein Drittel oder die Hälfte. Aber das geht am Punkt vorbei.

Ihr Klubchef sagt: um die Hälfte.

Ich weiß, aber das greift mir zu kurz. Die Stadt braucht eine gemeinsame Vorstellung, welche die wichtigen Kampagnen innerhalb eines Jahres sind. Derzeit gibt es einen Bauchladen aus kleinen Inseraten zu allem und jedem, die zusammen mit etlichen Publikationen einen riesigen Betrag ausmachen. Das ist weit mehr, als sinnvolle Kampagnen kosten. So gesehen kann man das Werbeaufkommen vielleicht tatsächlich halbieren.

Laut einigen Ihrer Parteikollegen ist es ein offenes Geheimnis, dass man mit der Anzahl der Inserate die Berichterstattung im Boulevard beeinflussen kann. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Ausgerechnet mich fragen Sie? Das ist ein Scherz. Nein, sicher nicht. Aber im Ernst: Wir brauchen eine Trennung zwischen Presseförderung und Inseraten. Die Inseratendebatte läuft sehr undifferenziert. Man übersieht, dass eine Halbierung mit dem Rasenmäher für viele kleinere Medien oder Qualitätsmedien das Aus wäre.

Sehen Sie uns gerade sterben?

Nein. Aber derzeit wird Medienförderung oft in Form von Inseraten betrieben. Ich bin für Transparenz. Die könnte man einerseits durch eine Förderschiene erreichen, andererseits durch klar vereinbarte Kampagnen mit Schaltplänen, die zeigen, wie man welche Zielgruppe erreichen will. Danach wird noch immer der Boulevard den Großteil erhalten, aber es wäre argumentierbar.

Glauben Sie, dass die SPÖ einer Reduktion der Inserate zustimmen wird? Zuletzt ist das Budget des Presse- und Informationsdienstes gestiegen.

Stimmt, wir konnten die SPÖ nicht von Kürzungen überzeugen. Aber nach einer Wahl werden die Karten neu gemischt und bei etwaigen Verhandlungen wird es Thema sein. Einfach, weil die Stadt als Ganzes sparen muss – und zwar nicht wenig.

Wechsel mit Folgen.

Şenol Akkılıç wurde einer breiteren Öffentlichkeit heuer durch seinen Abgangvon den Grünenbekannt. Der bisherige grüne Integrationssprecher wechselte an einem besonderen Datum zur SPÖ: kurz bevor die Grünen die Änderung der Geschäftsordnung im Wiener Landtag durchsetzen wollten. Diese wiederum wäre die Voraussetzung gewesen, dass die Grünen mit den Stimmen der Opposition ein neues Wahlrecht hätten beschließen können, das die SPÖ mehrere Mandate gekostet hätte. Durch den Wechsel von Akkılıç scheiterte das Vorhaben. Die Grünen werfen der SPÖ vor, Akkılıç „gekauft“ zu haben, die SPÖ sagt, er habe selbst angeklopft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30. Mai 2015)

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