Der Pate einer gut geschmierten Familie

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Hundertschaften fürstlich entlohnter Zuarbeiter profitieren vom Fifa-System Blatter, mit ihnen jubeln hunderte Verbände über die Wiederwahl des "ewigen Bosses".

Schon wenige Sekunden danach hatte sich Joseph Blatter schon wieder gefangen. Mit klarer, lauter Stimme bedankte er sich in Englisch bei seinen Lieben. Vor der Wiederwahl zum Präsidenten des Fußball-Weltverbandes Fifa lieferte der 79-jährige Schweizer noch eine jämmerliche Performance. Mit leiser, brüchiger Stimme in Französisch, wie immer, wenn er unsicher ist. Sein sogenannter Rechenschaftsbericht war eine wirre Tour d'Horizon durch ein Fifa-Jahrhundert, vor allem aber durch seine Amtszeit. Fakten und Gedanken wurden schmerzlich vermisst, aber vielleicht ist das nur ein Problem von Journalisten, die derlei Kongresse verfolgen und darüber berichten müssen. Der Mehrzahl der Delegierten aus 209 Fifa-Nationen sind Inhalte traditionell völlig egal.

Es gab Beifall. Was zählt, ist der Kontostand, und der hat sich bei der Fifa prächtig entwickelt. Das wiederum ist keine Kunst, da der Weltverband ein nach dem Vereinsrecht operierender globaler Konzern ist, der zahlreiche Steuerprivilegien genießt und das Monopol auf den goldenen Weltpokal hat. Die Vermarktung dieses Pokals und der Fußball-Weltmeisterschaften ist ein Selbstläufer, keine Raketenwissenschaft. Und Blatter weiß, was seiner Gefolgschaft gefällt. Eine Hundertschaft der kleinen Verbände ist ihm ewig dankbar und sieht in ihm einen Heilsbringer, weil er das Entwicklungshilfeprogramm Goal und das Programm Finanzielle Unterstützung (FAP) eingeführt hat. Der Fußballpräsident der Dominikanischen Republik hat Blatter kürzlich mit Jesus, Moses, Mutter Teresa, Churchill, Mandela und Martin Luther King verglichen.


Etliche Überweisungen. Allein heuer kann jeder Verband, auch der kleinste irgendwo im Stillen Ozean legal kassieren: 250.000 US-Dollar als jährliche Apanage, 500.000 Dollar als WM-Prämie 2014, zusätzliche 300.000 Dollar für das „Versprechen“, mit der Nationalmannschaft an der WM-Qualifikation 2018 teilzunehmen; im Goal-Programm winken mit etlichen Dutzend Föderationen weitere 600.000 Dollar Mindestförderung. Große Teile dieser Überweisungen versacken bis dato in Taschen und Kontengeflechten korrupter Funktionäre, obwohl diese Gelder inzwischen besser kontrolliert werden.

Als Blatter auf dem 65. Fifa-Kongress nach seinem Herausforderer Prinz Ali Bin al-Hussein für weitere fünfzehn Minuten Gelegenheit hatte, sein, nun ja, Programm vorzustellen, unterbot er die Inhaltsleere seines Rechenschaftsberichts – ein Kunststück. Viel mehr sagte er nicht als: Respekt! Fairplay! Liebe! Familie! Vertrauen! Es war erbärmlich, aber gut genug für sein Wahlvölkchen. Im ersten Wahlgang siegte der Mann, der sich selbst gern als „Godfather“ bezeichnet, also als Paten, mit 133:73 gegen das jordanische Königskind. Das waren zwar nicht zwei Drittel der Stimmen, die gemäß den Statuten nötig waren, also wurde eine zweite Runde ausgerufen, doch Ali machte es wie 1998 schon der Schwede Lennart Johansson: Er gab auf.

In der Geschichte der Fifa war es seit 111 Jahren erst das vierte Mal, dass ein Kongress zwischen zwei Personen wählen konnte. Der „Verein“ behält also jenen Präsidenten, den er verdient. Den Paten einer nach mafiosen Mechanismen aufgebauten und wie geschmiert funktionierenden Familie. Den Mafia-Vergleich werden Blatter und die Seinen nicht mehr los. Er ist faktisch belegt mit Dokumenten aus aller Welt, Gerichtsakten, journalistischen Enthüllungen, Anklageschriften, Bankbelegen, Verträgen.

Am vergangenen Mittwoch wurde ein neues Kapitel dieser unendlichen, unendlich traurigen Saga geschrieben, als Schweizer Kriminalbeamte in den Morgenstunden im Nobelhotel Baur au Lac sieben Fifa-Größen und Fußballmanager verhafteten. Das war einmalig in der Geschichte des Weltsports. Denn in der Schweiz haben sich die korrupten Funktionäre aus der Fifa, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und mehr als 60 anderen internationalen Sportverbänden stets sicher gefühlt. Nun werden sie dort aus dem Schlaf gerissen.


300 Seiten Anklageschrift. Das hat nicht nur in der Fifa, sondern in der gesamten olympischen Branche Schockwellen ausgelöst. Am Nachmittag trat in Brooklyn US-Justizministerin Loretta Lynch mit den Direktoren des FBI und der Steuerbehörde IRS vor die Presse. Sie beschrieb die Fifa doch tatsächlich als mafioses Gebilde und legte knapp 300 Seiten Anklageschriften vor – gespickt mit atemberaubenden Dokumenten. Vieles davon war schon bekannt, nichtsdestotrotz relevant und juristisch brisant, manches neu. Vieles wird sich aus den Gerichtsverfahren und weiteren anhängigen Ermittlungen noch entwickeln.

Wenn Angeklagte wie Fifa-Vizepräsident Jeffrey Webb oder sein Vorgänger Jack Warner auspacken, um Haftstrafen zu entgehen, könnte das jenen Tsunami im Weltverband auslösen, den Warner schon 2011 versprochen hatte – aber nur dann. Wogegen das Strafverfahren, das die Schweizer Justiz im März wegen der Vergabe der WM 2018 an Russland und 2022 an Katar eröffnet hat, im Sande verlaufen wird. Zu kompliziert ist die Rechtslage. Internationale Amtshilfeersuchen, wie bei den Verhaftungen in Zürich, helfen in Katar und Russland nicht, und auch nicht in einigen Staaten, aus denen jene Fifa-Exekutivmitglieder stammen, weil sie oder ihre Firmen märchenhafte Umsätze in diesen Ländern machen.


Das feige Schweigen der Uefa. Rund 24 Stunden sah es in dieser Woche so aus, als wäre Blatters Wiederwahl gefährdet. Seine Widersacher in der Europäischen Fußball-Union (Uefa), einem von sechs Kontinentalverbänden, redeten von Verschiebung der Wahl, von Boykott. Am Donnerstag aber fielen sie alle der Reihe nach um. Und als es am Freitag darauf ankam, kniffen sie. Da ist keiner aufgestanden. Niemand hat vor der Weltöffentlichkeit einen flammenden Appell gehalten. Niemand ist aus dem Saal marschiert. Der Ausmarsch der deutschen Vertreter beispielsweise, des Weltmeisterverbandes, hätte ein Signal sein können, das das Kartenhaus hätte einstürzen lassen. Doch nein. Nur Schweigen.

Davor und danach waren Uefa-Vertreter wie Präsident Michel Platini oder dessen Freund Wolfgang Niersbach, der DFB-Präsident, verbal sehr aktiv im Erklären ihres Versagens. Da wurde viel über taktische Erwägungen räsoniert. Alles Nonsens, plumpe Propaganda. Einer wie Blatter lacht darüber nur, zurecht übrigens.

Blatter hat seine Selbstsicherheit als Boss auf dem Zürichberg gewonnen. Sofort attackierte er im Schweizer Fernsehen Uefa und US-Justiz. Uefa-Vertreter würden ihn hassen, sagte er – diesen Nonsens erzählt er seit 1998, als er, damals noch Generalsekretär, nach zig Lügen und Finten erstmals für den Präsidentenstuhl kandidierte. Er entwarf das Märchen einer Verschwörung von FBI, IRS und Prinz Ali. Auch das ist Unsinn. Der Hergang der FBI-Ermittlungen ist ja bestens dokumentiert. Der britische Journalist Andrew Jennings veröffentlichte stapelweise Dokumente über die Großkorruption des US-Funktionärs Chuck Blazer. Daraufhin begannen FBI und IRS mit ihrer Arbeit, nachdem sie sich bei Jennings informiert und mit Belegen versorgt hatten.

Alles Hass und Verschwörung, sagt Blatter. Seine bezahlten Propagandisten, darunter der Österreicher Bernd Fisa, hatten ihn beim Wahrheitsbeugen gut eingestellt. Auch für die Leute im Hintergrund ist der Wahlsieg wichtig. Ganze Hundertschaften fürstlich bezahlter Zuarbeiter profitieren davon – vom System Blatter.

FOLGEN

5.
Amtszeit von Sepp Blatter, er ist bis 2019 im Fifa-Chefsessel.

13
Startplätze bekommt Europa bei der WM 2018 und 2022 – das ist ein »Zugeständnis« Blatters an die Uefa.

40
WM-Starter soll
das Turnier 2026 umfassen – für kleinere Nationen ist das die große Chance.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2015)

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