Der stille Protest in der Wahlzelle

Die FPÖ profitiert einmal mehr von der Diskrepanz zwischen dem Denken der Meinungsmacher und dem Fühlen der verunsicherten Bürger.

Als die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer – durch das Kentern von Schiffen mit hunderten Passagieren an Bord – wieder in das Bewusstsein der Europäer hereinbrach, da reagierten Politiker der staatstragenden Parteien und die meisten Medien mit einem zwar verständlichen, aber doch kurzsichtigen Reflex: Die „Festung Europa“ wurde an den Pranger gestellt, das Leid der Flüchtlinge und die Hartherzigkeit potenzieller Aufnahmeländer in den Vordergrund gerückt.

Wer diesem Meinungsmainstream widersprach und darauf hinwies, dass nicht jeder Migrant tatsächlich auch Flüchtling sei, dem Asyl zustünde, und dass eine Einwanderung in Massen statt in Maßen das soziale Gefüge der europäischen Gesellschaft und die Sozialsysteme in größere Schwierigkeiten bringen könnte, der hatte keinen leichten Stand. Also ließen es viele lieber bleiben.

In Österreich, in der Steiermark, aber auch im Burgenland, gingen viele dieser Menschen dann zum stillen, aber wirkungsvollen Protest über: Sie kreuzten in der Wahlzelle die FPÖ an. In der Steiermark war das Asylthema – Reformen hin, Reformen her – das bestimmende. Selbst führende Sozialdemokraten meinten nach geschlagener und verlorener Wahl hinter vorgehaltener Hand, dass man hier umdenken und Zuwanderern aus Afrika am besten bereits in Afrika klarmachen müsse, dass es besser wäre, sie würden beim Aufbau ihrer Heimat mithelfen.

So ähnlich klingt das auch bei den Freiheitlichen. Allerdings kommt bei diesen noch hinzu, dass sie bewusst mit den Sorgen der Menschen spielen, vereinfachte und übertriebene Slogans auf die Plakate knallen, um maximale Aufmerksamkeit zu erreichen. Die FPÖ will aus einer vorhandenen Stimmung Stimmen machen. Skrupel kennt sie dabei kaum.

Es wird allerdings nicht ausreichen, wenn der Kanzler nun schlicht und wenig ergreifend vor den „Hetzern“ warnt. Denn diese Rhetorik nützt letztlich nur der FPÖ, löst kein Problem und baut auch keine Ängste ab. Die Menschen wollen ernst genommen werden. Nicht jeder, der sich vor mehr Zuwanderung fürchtet, ist Rassist.

Es gibt reale Probleme, deren Verschweigen und Verharmlosen die Bürger eben in die Arme jener treibt, die dies für ihre Zwecke nützen wollen. Ghettobildung, hoher Anteil an schlecht deutschsprechenden Kindern in den Schulen, die Jihadistenszene (in Graz) – all dies waren Themen im steirischen Wahlkampf. Und sind es nicht nur dort.

Und wenn dann auch noch über Nacht Zeltstädte errichtet werden und damit suggeriert wird, es stünden jetzt schon die Massen vor der Tür, die man sonst nicht mehr unterbringen könne, dann muss einen das steigende Unbehagen nicht wundern. Wobei man der Innenministerin zugutehalten muss, dass sie hierbei kaum Spielraum hatte. Denn es waren ausgerechnet die Landeshauptleute (und viele Bürgermeister), die ihr diesen genommen haben. Weil sie sich dagegen gewehrt haben, herkömmliche Quartiere zur Verfügung stellen.

Es mag eine südostösterreichische Spezialität sein – aber von den viel zitierten „Modernisierungsverlierern“ war zumindest am Wahlabend bei der steirischen FPÖ wenig zu sehen. Hier feierte die Mittelschicht im Gabalier-Style. Man fühlte sich an alte Haider-Zeiten in Kärnten erinnert. Die stärksten Bezirke der steirischen FPÖ liegen nun auch im Umland von Graz, das als Boomregion gilt. Die FPÖ-Wähler als ausländerfeindliche Unterschicht zu qualifizieren greift – für die Steiermark jedenfalls – zu kurz.

Es bringt, wie man im Burgenland gesehen hat, allerdings auch wenig, die freiheitlichen Parolen abgemildert zu den eigenen zu machen. Auch SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl verlor 6,3Prozentpunkte.

Es führt in der Zuwanderungspolitik kein Weg daran vorbei: Man muss offen darüber reden. Über die Notwendigkeit, jenen Asyl zu geben, die Asyl brauchen. Über die Probleme, die mit ungeregelter Zuwanderung einhergehen. Über Maß und Ziel der Einwanderungspolitik, mögliche Überforderungen, berechtigte und übertriebene Ängste.

Damit die Parole „Fremd im eigenen Land“ nicht mehr verfängt.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2015)


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