Inselstreit: Auf Konfrontationskurs in Südostasien

File photo of members of the PLA Navy march in formation during training session on outskirts of Beijing
File photo of members of the PLA Navy march in formation during training session on outskirts of BeijingREUTERS
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Mit seinen neuen militärstrategischen Plänen versetzt China seine Nachbarn in Aufregung. Doch auch die Vereinigten Staaten mischen plötzlich im Südchinesischen Meer wieder eifrig mit und provozieren Peking.

Peking. Die ersten Zeilen klingen noch harmlos. Ende Mai hat die chinesische Führung in Peking in einem sogenannten Weißbuch ihre neue Strategie für den Ausbau ihrer Streitkräfte vorgestellt. Von „aktiver Verteidigung“ ist darin die Rede und dem „Ausbau des Militärs ausschließlich zu friedlichen Zwecken“. Dem ersten Anschein nach hält die Regierung weiter an der Doktrin fest, die einst Chinas Reformer Deng Xiaoping Anfang der 1980er-Jahre ausgegeben hat: die Verteidigung der eigenen Landesgrenzen und Küstengewässer. Eine aggressive Außenpolitik lehnte er indes ab.

Doch die weitere Wortwahl lässt aufhorchen: Von „Chinas Militärpräsenz über die Landesgrenzen hinaus“ ist plötzlich zu lesen, von einer „Kombination aus Küstenverteidigung und Schutz auf hoher See“. Und dass Chinas Führung vor allem der Marine und der Luftwaffe größeres Gewicht gebe. Beide sollen sich künftig „sowohl auf Verteidigung als auch auf Angriff“ konzentrieren, heißt es. Ja, was denn nun? Defensiv oder doch eher aggressiv?

Paradigmenwechsel

Ein Realitätscheck der vergangenen Monate zeigt: In der chinesischen Außenpolitik findet derzeit sehr wohl ein Paradigmenwechsel statt, und zwar ein ganz gewaltiger. Er wirkt alles andere als friedfertig. Am sichtbarsten tritt Chinas neue Militärstrategie derzeit im Inselstreit im Südchinesischen Meer zutage. Satellitenaufnahmen zeigen, dass China seit Monaten unweit der philippinischen Küste Riffe und Sandbänke aufschüttet. US-Militärs sind davon überzeugt, dass China auf diesen künstlichen Flächen unter anderem eine 3000 Meter lange Landebahn für Militärjets schafft. „Wir wissen alle, dass es keine militärische Lösung der Streitigkeiten im Südchinesischen Meer gibt“, kritisierte US-Verteidigungsminister Ashton Carter am vergangenen Wochenende die Chinesen beim Shangri-La-Dialog in Singapur, Asiens wichtigster Sicherheitskonferenz.

China weist die Kritik an den Landaufschüttungen zurück. Die Volksrepublik wolle lediglich ihre internationalen Verpflichtungen besser erfüllen können, etwa bei der Seenotrettung und beim Umweltschutz, betonte Admiral Sun Jianguo, Oberst der chinesischen Volksbefreiungsarmee.

Ressourcen unter dem Meer

So nutzlos diese Riffe wirken – unter dem Meer werden große Erdöl- und Erdgasvorkommen vermutet. Vor allem aber ist das Südchinesische Meer von strategischer Bedeutung. Im Zuge der rasanten Wirtschaftsentwicklung Chinas und Südostasiens der vergangenen 20Jahre hat es sich zu der meistbefahrenen Seehandelsroute der Welt entwickelt. Über die Hälfte des weltweiten Tankverkehrs passiert das Gewässer. China reklamiert fast das gesamte Südchinesische Meer für sich. Auf den offiziellen chinesischen Karten laufen diese Grenzen durch Gebiete, die von den Küsten der Nachbarländer praktisch in Sichtweite entfernt sind. Diese Lesart lehnen sämtliche Nachbarstaaten ab. Vietnam, Taiwan, Malaysia, Brunei und die Philippinen sehen in Chinas Aufschüttungen eine aggressive Handlung.

Vor allem den ebenfalls kommunistisch regierten Nachbarn Vietnam empfindet die chinesische Führung ihrerseits als Aggressor. Denn auch die Vietnamesen schütten Inseln auf – und erhalten Unterstützung von den USA. Verteidigungsminister Ashton Carter räumte in Singapur zwar ein, dass auch andere Staaten Außenposten aufbauten, verteidigte diese Aufschüttungen aber damit, dass China sehr viel weiter gehe und zudem ein viel größeres Gebiet beanspruche als die anderen. Peking fühlt sich von den USA in die Ecke gedrängt.

Gefahr eines Seegefechts

Tatsächlich schicken die Vereinigten Staaten regelmäßig Flugzeuge und Schiffe gefährlich nah an die chinesische Küste und demonstrieren damit, dass China trotz massiver Aufrüstung dem US-Militär weiter nicht gewachsen ist. Vor zwei Wochen konnte die Öffentlichkeit einen Einblick in dieses Vorgehen erhalten: Das US-Militär hatte einen Fernsehreporter von CNN auf einen ihrer Aufklärungsflüge über das Südchinesische Meer mitgenommen. Dieser konnte aufnehmen, wie das chinesische Militär das Flugzeug per Funk mit Drohungen eindeckte. „Solche Aktivitäten können zu Missverständnissen und Unfällen führen“, meinte nervös ein Mitglied der chinesischen Volksbefreiungsarmee.

Noch sprechen Experten der unabhängigen Denkfabrik IHS Janes von einem „PR-Krieg“. Doch sie warnen: Mit der derzeitigen Aufrüstung und den immer schärferen verbalen Drohgebärden steige das Risiko, dass Schüsse fallen. „Die Gefahr eines Seegefechts zwischen China und USA rückt bedrohlich näher.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2015)

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