Der gefährlichste Ort der Welt – ein Felsenhaufen im Pazifik

BELARUS DIPLOMACY CHINA
BELARUS DIPLOMACY CHINAAPA/EPA/TATYANA ZENKOVICH
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Ein Krieg im Südchinesischen Meer ist wahrscheinlicher denn je. China kippt die Nachkriegsordnung.

Chinas Staatschef Xi Jinping hatte gleich zu Beginn seines Amtsantrittes 2013 einen sehr prägnanten „chinesischen Traum“: Die Volksrepublik solle bis 2050 „zu einem starken, wohlhabenden Weltreich“ werden. Es wurde lange gerätselt, was genau er damit meinte. Inzwischen ist deutlich geworden, dass Xi seinen „Traum“ wörtlich nimmt. Deng Xiaopings jahrzehntelang geltende außenpolitische Doktrin, „bescheiden und unauffällig“ aufzutreten, hat der KP-Chef klar hinter sich gelassen. Stattdessen lässt er in Asien protzig die Muskeln spielen.

Vor allem im bereits seit Jahrzehnten schwelenden Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer hat Peking nun endgültig die Samthandschuhe ausgezogen. China beansprucht heute nicht nur ganz offen das gesamte Meer für sich. Die Volksrepublik hat bereits territoriale Tatsachen geschaffen: Peking schüttet derzeit Riffe, die anderen Ländern gehören, zu Inseln auf, um militärische Landebahnen zu bauen. Und provoziert damit die USA, die immer mehr Kriegsschiffe in die Region schicken, offiziell um die verbündeten asiatischen Staaten zu schützen.

Mitten im pazifischen Ozean – weit entfernt vom Fokus der mit sich selbst und den Konflikten in ihrem Hinterhof beschäftigten Europäern – befindet sich derzeit der gefährlichste Ort der Welt. Der Machtkampf zwischen den USA, ihren asiatischen Alliierten und China um die Kontrolle eines halb untergetauchten Archipels im Pazifik, könnte im Worst-Case-Szenario zu einem der schlimmsten Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg eskalieren – mit verheerenden Folgen für die ganze Welt.

Militärische Vorposten

Hinter dem erbitterten Streit steckt mehr als nur ökonomisches Interesse. Unter den Spratly- und Paracel-Inseln wird Öl und Gas vermutet, die Gegend ist ertragreich für die Fischerei und eine der meist befahrenen Seehandelsrouten der Welt. Doch vor allem geht es dort um grundsätzliche Geopolitik: Sollte es der Volksrepublik gelingen, die Inseln in militärische Vorposten zu verwandeln (und somit eine natürliche Grenze zu schaffen) wäre dieser Teil des Pazifiks tatsächlich das „Meer Chinas“ – und China erstmals seit dem 15. Jahrhundert wieder eine Seemacht. Vor allem aber hätte die KP die USA als pazifische Hegemonialmacht verdrängt – und damit gleichzeitig die nach 1945 geschaffenen (laut Peking „unfairen“) Machtverhältnisse gekippt. Kein Wunder also, dass die Amerikaner zum Äußersten bereit sind.

Dass sich der Konflikt just zum 70-jährigen Jubiläum des Kriegsendes zuspitzt, ist kein Zufall – und deshalb umso gefährlicher. Denn in Xis China sind geschichtliche Symbole heute wichtiger denn je. Die Wiedergutmachung für die historische Schmach und „ungerechte Behandlung“ durch den Westen (und natürlich Japan) im 20. Jahrhundert zieht sich wie ein roter Faden durch die KP-Rhetorik und kommt in der Bevölkerung gut an. Von diesem Neo-Nationalismus lebt die Partei heute.

Schattenboxen und Säbelrasseln

Genau das macht die Krise so explosiv: Chinas neue Aggressivität ist für die Partei überlebenswichtig geworden. Gleichzeitig könnte sie ihr paradoxerweise zum Verhängnis werden: Denn eigentlich kann und will sich China einen Krieg mit den USA gar nicht leisten: Das Regime weiß genau, dass die USA militärisch überlegen sind. Ebensowenig wollen die Amerikaner eine militärische Auseinandersetzung: Immerhin ist Peking ihr zweitgrößter Gläubiger.

Doch Emotionen können in dieser aufgeheizten Atmosphäre den Pragmatismus sehr rasch verdrängen. Das permanente Schattenboxen und Säbelrasseln droht jederzeit außer Kontrolle zu geraten: Was zum Beispiel, wenn China ein philippinisches Schiff angreift? Die USA haben sich verpflichtet, ihrem Alliierten beizustehen. Oder wenn China – was wahrscheinlich ist – vor den Augen der US-Militärs weiter Inseln ausbaut? Werden die USA reagieren? Und dann?

Eine Formel zur Deeskalation gibt es – und sie kommt aus China. Jahrelang hat Peking ungelöste Territorialkonflikte „eingefroren“, und Verhandlungen auf spätere Zeitpunkte verschoben. Doch: Für weise Kompromisse gibt es heute im Pazifik wenig Interesse. Stolz und Macht lauten dort die neuen politische Kategorien. Und das sind keine guten Vorboten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2015)

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