Dornhelms erster Tatort: In den Fängen einer Großfamilie

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Tatort(c) ORF
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Robert Dornhelm hat seinen ersten „Tatort“ gedreht. Die österreichischen Ermittler müssen einen Mordfall in einer skrupellosen Unternehmerfamilie aufdecken.

Robert Dornhelm hat erst einmal einen Krimi gedreht. Einen „Tatort“ noch nie. Und angeschaut hat er sich die Reihe bisher auch nicht. Er sei also „ziemlich jungfräulich“ an diesen Auftrag herangegangen, sagt er – mit der ihm eigenen Neugier, die ihn immer wieder in neue Genres und zu neuen Aufgaben treibt. Dornhelm liebt die Abwechslung – und diesmal heißt sie „Gier“. Sein Austro-„Tatort“, der diesen Sonntag im ORF Premiere hat (ORF 2, 20.15 Uhr), stammt von Autorin Verena Kurth („Schnell ermittelt“) und wendet sich leise, aber unerbittlich diesem Thema zu. Eine junge Frau, schwanger noch dazu, stirbt bei einem Unfall in einer Chemiefabrik, weil der Schutzanzug nicht geeignet war. Obwohl es zunächst nach einem Arbeitsunfall aussieht (wofür die Mordkommission nicht zuständig ist), sollen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ermitteln – die Tote ist das Patenkind ihres Vorgesetzten, Sektionschef Rauter (Hubert Kramar). Autorin Kurth führt die beiden diesmal in den Sumpf einer moralisch verwahrlosten Unternehmerfamilie.

Optisch raffiniertes Gänsehaut-Drama

Kurth folgt dem Trend der Krimi-Reihe, in den einzelnen Episoden aktuelle Themen anzusprechen. Sie schildert, wie der Wunsch nach immer mehr Reichtum Menschen korrumpiert, bis sie über Leichen gehen. Nur am Rande wird die Frage aufgeworfen, wie verantwortungslos es ist, die heikle Produktion von Schutzanzügen zu Dumpingpreisen nach Asien zu vergeben, um sich noch mehr zu bereichern. Die Frage nach der Verantwortung stellt sich den Entscheidungsträgern sowieso nicht – die gilt es bloß abzuwimmeln, wenn einen Reporter mit unangenehmen Fragen löchern.

Dieser „Tatort“ könnte auch „Schuld“ heißen, denn die Story rollt in einem parallelen Erzählstrang die eigentliche Geschichte von hinten auf: Wie der Unternehmer, aus dessen Firma die Schutzanzüge kommen, in eine Anstalt für psychisch abnorme Rechtsbrecher kam (gespielt von Anian Zollner) – und was seine Frau (die das traditionsreiche Familienunternehmen nun verkaufen will) und ihr Liebhaber damit zu tun haben. Robert Dornhelm drückt der „Tatort“-Reihe damit seine eigene Marke auf. Dieses vielschichtige Ehedrama hat alles, was einen Gänsehaut-Thriller seit Agatha Christie ausmacht: verfeindete Eheleute, einen unsicheren Liebhaber und einen undurchsichtigen Butler. Bis zuletzt bleibt der Ausgang ungewiss. Statt auf Blut und Gewaltszenen setzt Dornhelm auf facettenreiches Schauspiel und optische Raffinesse. Schauspieler Anian Zollner wirkt wie aus der Zeit gefallen: Ob dieser Mann mit dem intensiven Blick ein pedantischer Psychopath mit Mordgelüsten ist oder ein zu Unrecht verurteiltes Opfer einer Verleumdung, bleibt bis kurz vor dem Schluss offen.

Maria Köstlinger überzeugt als intrigante Gattin, selbst in den Szenen, in denen diese überhebliche Person schwach und verzweifelt ist. Dass dieser „Tatort“ auch „Treue“ heißen könnte, liegt an Johanna Mertinz: Sie ist die gute Seele des Familienunternehmens, seit Ewigkeiten dabei und ihrem Dienstherren bis zur Kaltblütigkeit loyal. Dornhelm inszeniert einen ihrer Auftritte einmal im Spiegelbild eines Uhrpendels – ein Sinnbild für das Zustreben auf die letzte Katastrophe in diesem Ehedrama. Die Kamera schaut immer wieder bewusst weg, um im Detail nach Indizien zu suchen – und wenn in Überblendungen oder Splitscreens die Unerträglichkeit und Monotonie der psychiatrischen Anstalt deutlich wird, weiß man, warum Harald Krassnitzer bei der Arbeit mit Dornhelm einen „Hauch von Hollywood“ verspürte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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