Rot und Blau: Zwischen Ausgrenzung und Anziehung

Die Freiheitlichen sprechen mitunter aus, was Sozialdemokraten nur denken (dürfen). Wobei es die SPÖ nicht gibt: Es gibt zumindest zwei.

Man glaubt es heute, angesichts des ermatteten Eindrucks, den er zuletzt hinterlassen hat, kaum: Aber Norbert Darabos hat einmal als großer Kampagnenmeister gegolten. Er hat, als Landesgeschäftsführer, den Bürgermeister von Frauenkirchen, Hans Niessl, zum Landeshauptmann gemacht. Wenig später, als Bundesgeschäftsführer, Heinz Fischer zum Bundespräsidenten. Und mit der Nationalratswahlkampagne 2006 hat er die Ära von Schwarz-Blau/Orange beendet. Ausgerechnet dieser Norbert Darabos sitzt nun selbst in einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung.

In Norbert Darabos verdichtet sich das Verhältnis der Sozialdemokratie zum Dritten Lager. Die wichtigste Erkenntnis: Wenn es um die Macht geht, sind die „antifaschistischen“ Sonntagsreden Geschwätz von gestern. Der FPÖ-Vorgänger VdU (Verband der Unabhängigen) wurde gar mithilfe des damaligen SPÖ-Innenministers Oskar Helmer gegründet. Das Kalkül dahinter: Der VdU sollte der ÖVP Stimmen wegnehmen (er nahm dann aber auch der SPÖ Stimmen weg).

Und ohne FPÖ keine Ära Kreisky. Die Freiheitlichen unterstützten seine Minderheitsregierung. Auch später hielt er sich – für alle Fälle – die Gesprächskanäle zu ihnen offen. Und 1983 fädelte er für seinen Nachfolger, Fred Sinowatz, dann auch noch eine rot-blaue Koalition ein.

Unter Franz Vranitzky war mit Rot-Blau dann zwar Schluss. Alfred Gusenbauer, der persönlich eine gute Gesprächsbasis zu vielen Freiheitlichen hatte, sah das dann aber wieder lockerer. In Kärnten gab es von 2004 bis 2006 Blau-Rot.

Passen SPÖ und FPÖ also in Wirklichkeit besser zusammen, als uns jene, die seit Jahr und Tag vor Rot-Blau warnen, weismachen wollen? Jein. Ein Blick ins FPÖ-Parteiprogramm – federführend entworfen von Norbert Hofer, dem Dritten Nationalratspräsidenten, der nun der Architekt von Rot-Blau in Eisenstadt war – zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Das „Recht auf Hilfe durch die Gemeinschaft in Notlagen“ werden auch Sozialdemokraten unterschreiben können. Ein „über den Konjunkturzyklus ausgeglichener Staatshaushalt“ wird wohl nicht für alle Genossen Priorität haben.

Ein Bekenntnis zur EU sucht man im FPÖ-Programm vergeblich, es ist lediglich von einem Europa der „historisch gewachsenen Völker“ die Rede. Dafür wird man im SPÖ-Programm den Passus „Wir streben die Einheit Tirols an“ nicht finden. Das Bekenntnis zur Neutralität ohne Wenn und Aber verbindet Rot und Blau wiederum.

Im zuletzt wahlentscheidenden Kapitel Zuwanderung spricht die FPÖ das aus, was sich viele Sozialdemokraten nur denken dürfen: „Wer als Fremder in Österreich wegen eines Verbrechens verurteilt wird, ist in sein Heimatland auszuweisen.“ Sprache, Geschichte und Kultur hierzulande seien deutsch – wiewohl die autochthonen Minderheiten als Bereicherung gesehen werden. Österreich sei jedoch „kein Einwanderungsland“. Und die Trennung von Staat und Kirche Grundbedingung für die Anerkennung von Religionsgemeinschaften.

In der Realpolitik eint Rote und Blaue ihr Hang zum Protektionismus – zum Wohl der kleinen Leute. Die EU-Osterweiterung mit der Freizügigkeit für den Arbeitsmarkt verursachte Rechten und Linken Unbehagen. Skepsis gegenüber den USA bei gleichzeitiger Sympathie für Russland kommt ebenfalls immer wieder– nicht bei allen, aber doch bei vielen– zum Vorschein.

Wobei man vielleicht einmal festhalten sollte: SPÖ ist nicht gleich SPÖ. Der Funktionär der Wiener SPÖ tickt ein wenig anders als der Genosse auf dem Land. Wie Letzterer tickt, das weiß Hans Niessl. Deswegen kann er sich Rot-Blau auch leisten, ohne dass im Burgenland ein Aufstand losbricht.

So gesehen kann sich auch Norbert Darabos nun fallen lassen und muss nicht mehr den mühsamen urbanen Intellektuellen nach dem Mund reden. Wobei man ihm immerhin zugutehalten muss: Er hat den „antifaschistischen“ Worten auch Taten folgen lassen. Als Verteidigungsminister untersagte er den Auftritt des Bundesheers beim Ulrichsbergtreffen. Und auch die Krypta auf dem Heldenplatz ließ er umgestalten.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2015)

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