80 Jahre AA: "Ich heiße Bob, ich bin Alkoholiker"

Symbolbild: Anonyme Alkoholiker.
Symbolbild: Anonyme Alkoholiker.(c) Bilderbox
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Vor 80 Jahren gründen zwei Männer die Anonymen Alkoholiker - in einem Land, in dem Trunksucht bis dahin als moralisches Versagen gilt.

Am 10. Juni 1935 trinkt der amerikanische Arzt Robert Holbrook Smith sein letztes Glas Alkohol, um für eine Operation eine ruhige Hand zu haben. Na und, könnte man sagen. Doch dieser Moment wird von den "Anonymen Alkoholikern" als Geburtsstunde ihrer Bewegung gefeiert, die 80 Jahre später weltweit mehr als zwei Millionen Mitglieder hat. Die Anonymen Alkoholiker (AA) bilden eine Gemeinschaft, um einander zu helfen, nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen. Willkommen ist jeder, der den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören.

In der Post-Prohibitionszeit der 1930er Jahre in den USA wird Alkoholismus als moralisches Versagen betrachtet und gilt weithin als unheilbar und tödlich. Doch zwei Männer wollen das nicht akzeptieren. Einer ist der oben genannte Bob Smith. Der andere ist der alkoholkranke Börsenmakler William Griffith Wilson. Die Trunksucht hat seine vielversprechende Karriere ebenso zerstört wie seine Ehe. Wilson wird vier Mal im Towns Hospital in Manhattan stationär behandelt - von einem Arzt namens William Silkworth. Dieser erklärt ihm, dass Alkoholismus eine Krankheit sei - und keine moralische Verfehlung.

Nutze die Redseligkeit des Trinkers

Wilson wendet sich in seiner Verzweiflung auch der sogenannten "Oxford-Gruppe" zu. Diese ist eine von zahlreichen überkonfessionellen Erweckungsbewegungen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA boomen. Die Oxford-Gruppe geht davon aus, dass der Mensch ein Sünder ist, der aber verändert werden kann. Voraussetzung für Vergebung und Veränderung ist ein Sündenbekenntnis. Oxford-Anhänger glauben daran, dass Trunksucht durch Religion und Gottbezug geheilt werden kann. Charakteristisch für die Gruppe sind auch gemeinsame Sitzungen, die später ein wichtiger Bestandteil der Anonymen Alkoholiker sein werden.

Nach Treffen der Oxford-Gruppe setzt sich Wilson - der es nach einer Art "göttlichen Erscheinung" geschafft hat, clean zu bleiben - mit anderen Ex-Trinkern zusammen. Es ist der Beginn seines Kreuzzugs, um Alkoholiker zu retten. Allerdings bleibt keiner von diesen sauber. Sein Arzt Silkworth glaubt, dass Wilson einen Fehler macht, indem er den Alkoholikern von seiner göttlichen Bekehrung erzählt, um den Prinzipien der Oxford-Gruppe gerecht zu werden. Er empfiehlt ihm, den Menschen von der Besessenheit zu erzählen, die sie trinken lässt, sowie von der körperlichen Abhängigkeit. Wenn ihnen das ein anderer Alkoholiker erzähle, könne das zu ihnen vordringen. Erst dann könne der Alkoholiker die ethischen Prinzipien der Oxford-Gruppe für sich anwenden.

Bleib 24 Stunden sauber

Als sich Wilson im Mai 1935 auf einer stressigen Geschäftsreise in Akron, Ohio, befindet, merkt er, dass er trinken will. Er beschließt, mit einem anderen Alkoholiker zu sprechen, um sauber zu bleiben. Er ruft einen lokalen Pfarrer an und fragt ihn, ob er einen Alkoholiker kenne. So kommt er zu Robert Holbrook Smith, später schlicht "Dr. Bob" genannt. Smith hätte sein Medizin-Studium aufgrund seiner Trinksucht fast nicht geschafft. 17 Jahre lang bleibt er bis zum Nachmittag sauber, dann betrinkt er sich, schläft und nimmt in der Früh Beruhigungsmittel, um das morgendliche Zittern zu verhindern. Smith stimmt dem Gespräch mit Wilson zu - allerdings soll es auf 15 Minuten begrenzt bleiben. Doch es wird sechs Stunden dauern und das Leben der beiden Männer grundlegend verändern. Smith wird der erste Alkoholiker sein, den Wilson nach rund einem Monat heilen kann. Eine grundlegende Erkenntnis der beiden AA-Gründer ist: Alkoholiker können anderen Alkoholikern gut zuhören.

Fortan überlegen Wilson und Smith, wie sie anderen Alkoholikern, auch den schwersten Fällen, helfen können. Sie sind der Überzeugung, dass Alkoholiker krank und nicht sündig sind, wie das die Oxford-Gruppe - von deren Zielen sie sich schon bald distanzieren - propagiert. Sie glauben weiters, dass Alkoholiker davon überzeugt werden müssen, dass sie den Alkoholismus nicht allein bekämpfen können und von den Erfahrungen ehemaliger Alkoholiker lernen können. Zwei grundlegende Erkenntnisse treiben die beiden Männer an. Erstens: Um sauber zu bleiben, braucht ein Alkoholiker einen anderen Alkoholiker. Zweitens: Wenn es ein Alkoholiker schafft, dem Drang zu trinken für 24 Stunden zu widerstehen, dann kann er auch sauber bleiben. Der Gedanke dahinter: Ein Leben lang nüchtern bleiben klingt unmöglich. 24 Stunden, das geht. Es macht es viel leichter, für einen übersehbaren Zeitraum nicht zu trinken und auf das erste Glas des Tages zu verzichten.

Die Idee verbreitet sich schnell

Smith und Wilson gründen in Akron, Ohio, und New York die ersten beiden AA-Gruppen. Schließlich verbreitet sich die Idee der Anonymen Alkoholiker schnell. Den Ablauf von Meetings der Anonymen Alkoholiker kennt heute jeder, der regelmäßig Hollywood-Filme schaut. "Ich heiße Bob und ich bin Alkoholiker", heißt es da etwa, wenn man an der Reihe ist. Die anderen Teilnehmer sagen dann etwas wie "Hallo Bob". Auch Beisätze wie "Ich bin seit 448 Tagen trocken" kennt man zur Genüge.

Wilson und Smith verfassen mit weiteren Alkoholkranken 1939 das Buch "Alcoholics Anonymous" (auch "Big Book" oder "Blaues Buch" genannt) - die Bibel aller Anonymen Alkoholiker. Dieses Buch enthält auch das "Zwölf-Schritte-Programm", das viele AA bei sich tragen:

Das ''Zwölf-Schritte-Programm''

1. Schritt
Wir gaben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind – und unser Leben nicht mehr meistern konnten.
2. Schritt
Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.
3. Schritt
Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes – wie wir Ihn verstanden – anzuvertrauen.
4. Schritt
Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren.
5. Schritt
Wir gaben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber unverhüllt unsere Fehler zu.
6. Schritt
Wir waren völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen.
7. Schritt
Demütig baten wir Ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen.
8. Schritt
Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugefügt hatten und wurden willig, ihn bei allen wieder gutzumachen.
9. Schritt
Wir machten bei diesen Menschen alles wieder gut - wo immer es möglich war –, es sei denn, wir hätten dadurch sie oder andere verletzt.
10. Schritt
Wir setzten die Inventur bei uns fort, und wenn wir Unrecht hatten, gaben wir es sofort zu.
11. Schritt
Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott – wie wir Ihn verstanden - zu vertiefen. Wir baten Ihn nur, uns Seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.
12. Schritt
Nachdem wir durch diese Schritte ein spirituelles Erwachen erlebt hatten, versuchten wir, diese Botschaft an Alkoholiker weiterzugeben und unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.

Keine Spenden, keine Förderungen

Der Gott-Bezug hat die Anonymen Alkoholiker mitunter in den Verdacht gebracht, eine religiöse Sekte zu sein. Es ist auch jener Punkt, mit dem viele Teilnehmer die größten Probleme haben. Die "Gemeinschaft AA" legt allerdings wert darauf, "mit keiner Sekte, Konfession, Partei, Organisation oder Institution verbunden" zu sein. "Unser Hauptzweck ist, nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen."

In Österreich gibt es die Anonymen Alkoholiker übrigens seit 1960. Sie kommen ohne finanzielle Unterstützung und staatliche Förderungen aus. Spenden von außen werden abgelehnt. "Die Hutsammlung am Ende eines Meetings ist unsere Art, unsere Verantwortung für die Arbeit von AA zu tragen", heißt es von Seiten der Anonymen Alkoholiker. Denn: "Wir sind durchaus in der Lage, genug Mittel aufzubringen."

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