Zurück zum Vorarlberger Käse - die Gesamtschule

Die Frage war einfach: Was bringt die Gesamtschule dem österreichischen Schüler? Die Antwort darauf schon schwieriger, wie sich herausstellte.

Um eines klarzustellen: Ich liebe Käse. Je würziger desto besser. Außerdem: Vorarlberg ist toll. Nicht nur, weil eine Technologie aus seinen Breiten mich alljährlich unzählige Meter auf diverse Berge trägt sondern auch, weil seine Einwohner g’hörig sind und weil sich die Landschaft vom Bodensee bis zum Piz Buin so verführerisch über unseren Westen legt, dass so mancher in ihren Bann gerät und nicht mehr von ihr loskommt.

Doch darum ging es ja in meinem letzten Blogeintrag nicht. Sondern um die Gesamtschule, die nun mal in Vorarlberg in ihren Geburtswehen liegt (in acht bis zehn Jahren soll dort eine gemeinsame Schule für alle 10- bis 14-Jährigen die Schullandschaft zieren).

Dass diese Nachricht vielen Österreichern – Politiker, Lehrer, Eltern und Schüler – ein „Endlich“ über die Lippen huschen lässt, ist nicht zwingend nachvollziehbar. Vor allem, wenn man sich ausführlich mit den Vor- und Nachteilen eines differenzierten Schulsystems auseinandersetzt und nach unmittelbaren lernpsychologischen Verbesserungen durch die Strukturveränderung sucht (vom budgetären Loch gar nicht zu reden, das ja jetzt schon nicht mehr wirklich zu stopfen ist).

Deshalb wollte ich es wissen: Was soll die Gesamtschule bringen? Was ist die Hoffnung der Befürworter der gemeinsamen Schule? Als was wird uns diese Reform verkauft? Was rechtfertigt die Ausgaben in Millionenhöhe? Letztlich: Wird sich die Leistung unserer Schüler dadurch verbessern (und „Leistung“ sollte hier durchaus einmal positiv verstanden sein)? Ich habe Sie gefragt und Antworten bekommen:

Argument Nummer 1: Chancengleichheit

„Ich finde, ein öffentliches Schulsystem sollte allen Schülern dieselben Chancen und Möglichkeiten bieten und nicht schon mit 10 Jahren aussortieren (nach welchen Kriterien auch immer)“, argumentiert ein User auf Facebook auf meine Frage nach dem Nutzen der Gesamtschule – und ich stimme ihm völlig zu (zumindest mit dem ersten Teil seiner Aussage).

Allerdings würde ich einerseits gerne die Frage in den Raum stellen, ob die Aussortierung mit 14 „fairer“ ist. Andererseits ist zu überlegen, ob eine Chancengleichheit je umsetzbar ist: Müsste man dann in ihrem Sinn nicht wirklich Eltern verbieten, ihren Kindern abends Geschichten vorzulesen (das schafft ja denen gegenüber Vorteile, die keine Gute-Nacht-Geschichten bekommen, worauf der englische Philosophieprofessor Adam Swift unlängst hingewiesen hat) oder diese einfach respekt- und liebevoll zu behandeln (nicht jedes Kind hat das – also unfair!)? Wo beginnt die Chancengleichheit?

Weiters ist zu bezweifeln, dass die Gesamtschule wirklich jedem die Chancen gibt, die ihm zustehen. Bekommt der besonders Begabte tatsächlich seine Förderung wie auch der Teilleistungsschwache sie bekommt? Zu befürchten ist hier eher die Ausrichtung des Niveaus an der Leistungsfähigkeit der Schwächsten – was auch in Kuba etwa geschehen ist: Weil Castro nicht alle gleich reich machen konnte, machte er sie gleich arm.

Argument Nummer 2: Hinausschieben der Berufsentscheidung

Ein weiterer Gedanke zur Rechtfertigung der gemeinsamen Schule ist, dass man sich nicht mit zehn Jahren schon entscheiden müsse, wie der weitere Berufsweg auszusehen hätte. Wer wisse das in diesem Alter denn schon? Auch das ist nachvollziehbar. Zumindest teilweise.

Denn zuallererst ist die Entscheidung für eine Hauptschule (oder NMS) nicht zwingend auch eine Entscheidung für einen Lehrberuf. Denn wenn dort eine gute Arbeit möglich ist (und das ist vor allem am Land der Fall), ist ein Übertritt in eine Oberstufe ein Katzensprung. In einem guten differenzierten Schulsystem stehen jedem Schüler genauso alle Wege offen wie in der Gesamtschule und der in dieser Diskussion oft zitierte Einfluss des Elternhauses (Bildung ist vererbt) wird auch durch ein Gesamtschulkonzept nicht anders ausfallen – zumindest nicht zwingend.

Außerdem stellt sich die Frage, ob ein 14-Jähriger wirklich besser weiß, was er will, als ein 10-Jähriger, nachdem man ihnen klar gemacht hat, dass „Chillmasta“ oder „Superstar“ keine sehr ernstzunehmenden Karriereaussichten mit sich bringen. Letztlich sind es auch hier meistens die Eltern, welche die Entscheidung treffen, wo der weitere Weg verlaufen soll. Und das ist in vielen Fällen auch gut so.

Argument Nummer 3: Innere Differenzierung

„Ich halte sehr viel von der Gesamtschule, [...] wenn sie die erforderlichen Ressourcen bekommt für entsprechendes Differenzieren, d.h. mit jedem Kind muss ein individueller Förderplan gemacht werden, dann wird es ein Erfolgsmodell, sonst ein Desaster, weil auch die äußere Schulorganisation gar nicht so wesentlich ist“,  schreibt ein weiterer User auf Facebook. Und er hat den Nagel damit auf den Kopf getroffen, denn die schulorganisatorische Struktur ist nebenrangig, wenn nur jeder Schüler die Förderung bekommt, die er braucht, um erfolgreich lernen zu können.

Hier wird die Gesamtschule also über die Binnendifferenzieren gerechtfertigt – etwas, das in der bestehenden Schulform genauso nötig und möglich ist und in der Gesamtschule kein Selbstläufer ist – die muss dort erst einmal umgesetzt werden (was mit der wachsenden Inhomogenität einer Gruppe auch immer komplizierter und arbeitsaufwendiger wird).

Auch deswegen findet man wohl keinen Hinweis auf die Gesamtschule in John Hatties Liste der größten Einflüsse auf das Lernen der Kinder. Die Schulform hat also wirklich keinen pädagogischen Wert, wie auch Fritz Enzenhofer, Amtsführender Präsident des Landesschulrates für Oberösterreich, in seinem Kurier-Interview gesagt hat: „Gesamtschule ist kein pädagogisches, sondern ein sozial- und gesellschaftspolitisches Thema“.

Der Kreis schließt sich

Die Frage nach dem pädagogischen Nutzen der Gesamtschule war also schneller gestellt als beantwortet – eben deswegen, weil es keinen pädagogischen Nutzen gibt. Die Gesamtschule ist eine gesellschaftspolitische Bestrebung, soziale und gesellschaftliche Unterschiede und Ungerechtigkeiten auszugleichen. Solange sie nicht als lernoptimierende pädagogische Lösung auf diverse Bildungsfragen verkauft wird, hat sie in der Diskussion um die österreichische Schule ihren Stellenwert durchaus verdient.

Ob sie diesen Erwartungen jedoch auch gerecht werden kann, steht auf einem anderen Blatt.

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