Nudging: Der Staatssekretär will stupsen

''Welcome to the club'', willkommen im (Nudge-)Club – so begrüßte David Halpern (l.) Harald Mahrer.
''Welcome to the club'', willkommen im (Nudge-)Club – so begrüßte David Halpern (l.) Harald Mahrer.christophergunson.com
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Staatssekretär Harald Mahrer will nach Londoner Vorbild eine Nudge Unit gründen.

London/Wien. Wie reduziert man die Zahl der Schulabbrecher an weiterführenden Schulen um 36 Prozent? Antwort: Man schickt den Schülern in den letzten Ferienwochen ein Willkommen-zurück-SMS, das erklärt, wann man sie wo erwartet.

Wie bringt man mehr Menschen dazu, sich für eine Betriebspension anzumelden? Antwort: Man meldet sie automatisch an. Wer nicht will, muss sich abmelden. 90 Prozent bleiben jedoch dabei.

Wie bringt man Leute dazu, schneller mit dem Rauchen aufzuhören? Antwort: Man sorgt dafür, dass Alternativen, konkret E-Zigaretten, leicht erhältlich sind.

David Halpern hat viele solche Beispiele auf Lager, er führt sie vor wie ein Zauberer seine Tricks. Obwohl der Chef des britischen Behavioural Insight Team – Spitzname „Nudge“ Unit – das alles schon sehr oft erzählt haben muss, wirkt er immer noch ehrlich begeistert, wenn er den Abgesandten ausländischer Regierungen die Welt der Verhaltensökonomie und -psychologie erklärt. Auch Angela Merkels Berater waren schon bei ihm. Seit man in Berlin offiziell die Philosophie des Stupsens (Nudge bedeutet Stups) pflegt, weiß auch hierzulande ein breiteres Publikum, worum es geht, nämlich, vereinfacht formuliert, darum, Menschen statt mit Geboten und Verboten durch Stupser, also Anreize, zu gesellschaftlich/politisch erwünschtem Verhalten zu bewegen.

Österreich ist in Gestalt von Harald Mahrer, Staatssekretär für Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung (ÖVP), bei Halpern vorstellig geworden. Mahrer, Reinhold Mitterlehners Mann fürs Innovative, will auch in Wien eine Nudge Unit gründen. Ob es eine interministerielle Gruppe wie in Deutschland wird oder ob sie fix in (s)einem Ressort installiert wird, ist noch offen. Auch der Name fehlt (Merkel hat sich für eine eher steife Bezeichnung entschieden: Projektgruppe wirksam regieren). Schon Ende Juni will Mahrer die Idee den Regierungskollegen vorstellen, dann mit interessierten Ministern bis Herbst ein Konzept entwickeln. Mit an Bord ist vermutlich Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP), die als Motivforscherin dem Gebiet nicht fernsteht. Im Karmasin-Ressort gibt es bereits Vorschläge, die in diese Richtung gehen, etwa, dass Kinder ab dem vierten Lebensjahr automatisch im Kindergarten angemeldet, erst auf Wunsch wieder abgemeldet werden. Mahrer selbst will noch keine Projekte nennen, diese soll ein internationaler Expertenbeirat festlegen. Er selbst würde aber gern Schul-/Studienabbrecher in den Fokus nehmen.

Generell soll das Austro-Nudging bescheiden starten, nur mit einigen Pilotprojekten. Und nur wenn diese den gewünschten (Spar-)Effekt brächten, soll die Neigungsgruppe Nudging zu einer echten Abteilung anwachsen. Wobei die Briten die Latte hoch gelegt haben: So hat die Nudge Unit angeblich in den vergangenen vier Jahren dem Staat das 22-Fache der Kosten des (inzwischen 60 Leute umfassenden) Teams eingespart.

Apropos Zahlen: Tatsächlich sei Empirie fast der wichtigste Teil seiner Arbeit, sagt Halpern. Das wissenschaftliche Testen, ob und wie welche Maßnahme funktioniert, steht im Zentrum der Unit. Auch den Mathematikunterricht hat man sich auf diese Weise vorgenommen. Am Anfang, so Halpern, seien die „Eltern entsetzt gewesen, dass wir Experimente mit ihren Kindern machen. Aber dann haben wir ihnen erklärt, dass ja keiner weiß, wie man Mathematik am besten unterrichtet, und dass wir das herausfinden wollen.“ Er selbst teile ethische Bedenken hier nicht. Im Gegenteil: Sei es nicht eigentlich unethisch, etwas einfach zu machen, ohne es vorab zu testen?

Testen, testen, testen

Bei Mahrer findet er damit Widerhall. „Faktenbasiertes Regieren ist das Gebot der Stunde. Mir gefällt diese Herangehensweise, dass man Maßnahmen erst testet und wissenschaftlich analysiert, bevor man Geld ausgibt“, sagt Mahrer. Auch bestehende Vorschriften und Förderungen wolle er tabulos überprüfen. „Wer kann schon etwas dagegen haben, Regeln, die nicht wirken, zu streichen?“, fragt er. Allerdings fügt er selbst hinzu: „Ich fürchte, dass es unter den Politikern eine große Angst vor solchen Evaluierungen gibt. Da man erkennen würde, dass viele Maßnahmen nicht jene Effekte erzeugen, die sie versprochen haben.“ Parteichef Mitterlehner weiß Mahrer jedenfalls auf seiner Seite. Man habe über Nudging geredet. Und: „Es passt total zu unserem Programm.“

Das dem von Premier David Cameron ja nicht unähnlich sei: Auch die ÖVP wolle einen schlankeren, effizienteren Staat. Wobei Nudging ein Kind der Tony-Blair-Ära war. Allerdings war der Start vor zehn Jahren eher schlecht, wie Halpern – damals schon dabei – erzählt. Damals gelangte ein internes Papier an die Medien, in dem es darum ging, ob Preispolitik zu einer gesünderen Ernährung führen könnte. Die Zeitungen titelten daraufhin mit „Fat Tax“, Fettsteuer. Unter den Coverfotos von übergewichtigen Politikern prangte die pikanten Frage: Wie viele Steuern müssten sie wohl zahlen? Danach verlor Blair die Lust am Stupsen. Erst unter Premier Cameron wurde Nudging offiziell wiederentdeckt – jedoch unter anderen Vorzeichen: Es ging nun vor allem um das Sparen – auch beim Staat.

Diesen Kontext betont auch Mahrer. Dass Nudging nicht zu einer Partei passt, die stets die Wahlfreiheit betont, sieht er nicht. „Ich als Person bin ein Garant dafür, dass es nicht durch die Hintertür zu einer Lenkung der Bürger kommt, weil ich grundsätzlich gegenüber dem Staat skeptisch bin.“ Dennoch sei es legitim, dass die Politik – auch mit Nudging – strategische Ziele verfolge: „Solange die Bürger die Wahlfreiheit haben, sehe ich kein Problem.“ Zudem solle jedes Nudge-Projekt in vollkommener Transparenz entstehen. Natürlich: „Je stärker Nudging in die persönliche Lebenssphäre, Stichwort: Ernährung, eingreift, desto heikler wird es. Ob ich zum Beispiel ein zweites Bier trinke, entscheide immer noch ich.“ Das freilich hat ihm auch in London keiner verboten.

LEXIKON

Das Behavioural Insight Team (BIT) war ursprünglich direkt im Cabinet Office in der Downing Street No. 10 angesiedelt. 2014 wurde es ausgegliedert und arbeitet nun auch für Unternehmen. Ein Drittel des BIT gehört der Belegschaft, ein Drittel der privaten NGO Nesta und ein Drittel dem Staat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2015)

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