Bezirksporträt. Wiens siebenter Bezirk gilt als Zentrum der jungen und kreativen Szene. Politisch tendiert der gerne abfällig als Bobostan bezeichnete Bezirk in Richtung Grüne – doch im Zweifel siegen Fritz-Kola und Craft Beer über Idealismus.
Wien. Veganes Eis. Oder Sushi ohne Fisch. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass auch die nächste schräge Idee irgendwo in Neubau ersonnen wird. Wiens siebenter Bezirk ist so etwas wie das Testlabor, in dem – es klingt fast schon wie ein gebetsmühlenartig vorgetragenes Klischee – junge und kreative Menschen Dinge ausprobieren, die ein paar Monate später in Stadtzeitungen als das nächste große Ding gefeiert werden. Und die das bei den ebenso jungen und kreativen Endkunden auch tatsächlich sind. Unter anderem die meterlange Schlange vor der veganen Eisdiele Veganista in der Neustiftgasse zeugt davon. Als Boboville oder Bobostan wird der Bezirk gern bezeichnet. Als Zentrum der gut gebildeten, gut verdienenden und trotzdem noch ziemlich jungen Menschen. Dabei etwas weniger spießig als die benachbarte Josefstadt, aber im Vergleich zum anderen Innergürtelnachbarn Mariahilf dann doch schon etwas gesetzter.
Vermutlich waren die Flaktürme in der Stiftskaserne und im Esterházypark (ja, der ist im sechsten) mitverantwortlich für die Entwicklung des Bezirks zum Eldorado des etwas abgehobeneren Wiener Lebensgefühls. Schließlich konnte wohl dank des Schutzes vor Fliegerangriffen im Zweiten Weltkrieg viel von der Substanz der Gründerzeithäuser erhalten werden. Und die sollten ja mit den Sanierungen im Rahmen des Altstadterhaltungsfonds ab 1970 zur Keimzelle des städtischen Aufschwungs werden. Dazu kam die Nähe zur Innenstadt, aber auch zur Uni Wien – und mit dem Start der U3 im Jahr 1991 lag der Bezirk auch noch an einer der Hauptschlagadern des öffentlichen Verkehrs in Wien – U2 und U6 hatten ja schon vorher die Flanken abgedeckt.
Amerlingbeisl und KPÖ-Parteilokal
Doch schon lang vorher hatte sich hier eine Alternativszene entwickelt. Das Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus, zum Beispiel, feiert dieser Tage den vierzigsten Jahrestag der Besetzung. Wobei sowohl der Spittelberg als auch das Amerlinghaus die Tage ihrer Relevanz schon hinter sich haben. Statt Aktivismus und Idealismus dominiert zunehmend die Fritz-Kola-Fraktion. Selbst das Siebenstern, das langjährige KPÖ-Lokal am Siebensternplatz, hat die Priorität von freiem Diskurs auf Craft Beer umgestellt. Immerhin, es hängt noch ein roter Stern über der Bar.
Apropos Symbolik – untrennbar mit dem Bezirk verbunden sind die Sitzmöbel im Museumsquartier. Einst Enzis genannt, in der zweiten Generation Enzos, haben sie seit 2002 als Illustration für das neue Wien den Weg in unzählige Reiseführer gefunden. Sie wurden kopiert, vermarktet – und vor allem werden sie nach wie vor heftig genutzt. An warmen Sommerabenden wirkt der Hof von oben wie ein bunter Ameisenhaufen. Der anfängliche Traum einer konsumfreien Zone hat zwar den einen oder anderen Dämpfer bekommen – die Toilettenbenützung kostet mittlerweile. Doch einen ähnlichen Treffpunkt abseits von Lokalen muss man in Wien nach wie vor erst einmal finden.
Der Reiz, hier zu wohnen, ist ungebrochen. Allein, die Immobilienpreise sind hoch. Und so haben in den vergangenen Jahren viele Interessierte den Sprung über den Gürtel gemacht, wo es noch weitaus günstigere Wohnungen gibt. Die Bevölkerungszahl, die seit den 1980er-Jahren weitgehend stabil bei rund 31.000 hält, könnte Prognosen zufolge noch nach oben gehen. 2034 könnten es mehr als 35.000 Menschen sein. Wohnraum kann in dem dicht verbauten Bezirk allerdings fast nur mehr über Verdichtung gewonnen werden. Oder durch Familienbildung – mehr als 50 Prozent der Wohnungen im Bezirk sind Ein-Personen-Haushalte.
War da noch was? Ach ja, die Mahü
Apropos 50 Prozent – daran kratzten bei den Bezirksvertretungswahlen 2010 die Grünen ein wenig mit 45,4 Prozent. Mit Thomas Blimlinger errangen sie 2001 auch den ersten Bezirksvorsteher überhaupt. Und er will auch nach der Wahl im Oktober an der Spitze des Bezirks bleiben. Weil es noch viele spannende Projekte gebe. Um ein solches Projekt ist es mittlerweile übrigens recht ruhig geworden. Die Mariahilfer Straße ist seit ihrer Umwandlung in eine Fußgänger- und Begegnungszone – auch so ein Testlauf für eine schräge Idee – derzeit kaum mehr in den Schlagzeilen. Im Sommer soll der Umbau komplett abgeschlossen sein.
Die (nicht nur) Neubauer Causa prima der vergangenen Jahre hat aber durchaus noch Potenzial, Bezirksbewohner (und Auswärtige) aufzuregen. Weil sich für manche die Anfahrtswege verkompliziert haben. Weil manche Straßen den Ausweichverkehr besonders spüren. Und weil die Straße ideologisch aufgeladen wurde. Doch auch das wird sich bald legen. Denn so jung, kreativ und progressiv die Neubauer auch sein mögen – an die meisten Dinge gewöhnen sie sich schnell. Sind ja schließlich auch nur Wiener.

Serie: Wiens Bezirke
Bis zur Wien-Wahl am 11. Oktober porträtiert die ''Presse'' nach und nach alle 23 Wiener Bezirke. Die bisherigen Porträts finden sie unter diepresse.com/bezirke
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13. Juni 2015)