Fiat: Ex-Pleitekandidat auf Einkaufstour

(c) AP (Thomas Kienzle)
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Noch vor Kurzem kämpfte Fiat ums Überleben. Nun steigen die Italiener bei Chrysler ein und buhlen um Opel. Fiat ist auf dem Weg zu einem der größten Autohersteller der Welt - könnte dabei aber stolpern.

wien. Die Autoindustrie steht angesichts der Krise vor einer atemberaubenden „Marktbereinigung“. Von Experten und Branchenvertretern wird damit gerechnet, dass mehreren Herstellern „die Luft ausgeht“ und sie von der Bildfläche verschwinden oder von anderen geschluckt werden. Vor wenigen Jahren wäre der italienische Autobauer Fiat noch als eines der ersten Opfer einer solchen Bereinigung gehandelt worden.

Heute sieht die Sache völlig anders aus: Die Italiener steigen bei Chrysler ein, das von der US-Regierung in die Insolvenz geschickt wird. Zuerst mit 20 Prozent, später soll Fiat 35 Prozent des drittgrößten US-Autoherstellers übernehmen. Doch damit ist der Appetit der Italiener nicht gestillt: Sie buhlen nun intensiver denn je um Opel. Einer der Gründe: Fiat will an die 3,3 Milliarden Euro Staatsgeld für Opel herankommen, um den Chrysler-Deal abzufedern.

Die Allianz mit den Amerikanern macht Fiat zu einem der weltweit größten Autohersteller: Im Jahr 2007 produzierten die Italiener 2,68 Millionen Fahrzeuge (inklusive der Töchter Alfa Romeo und Lancia), Chrysler 2,54 Millionen. General Motors führte die Liste mit 9,35 Millionen Autos an (davon stellten Opel und seine britische Schwesternmarke Vauxhall 1,46 Mio. Fahrzeuge her).

Seit 2006 wieder Gewinne

Der Aufstieg zu einem der weltweit größten Autohersteller ist umso bemerkenswerter, weil Fiat selbst noch bis vor Kurzem ums Überleben kämpfte. Durch eine verfehlte Produktpolitik und mangelndes Qualitätsbewusstsein in den 90er-Jahren litten die Italiener unter einem verheerenden Ruf. Absatzrückgänge und hohe Verlusten waren die Folge. Erst 2006 schaffte das Turiner Unternehmen die Rückkehr in die schwarzen Zahlen. Als Wegbereiter dieser Rückkehr gilt Fiat-Chef Sergio Marchionne, der 2004 das Ruder übernommen hatte.

Bereits kurz nach seinem Antreten schickte er 90 Prozent der Fiat-Manager in die Wüste. Unter seiner Führung wurde in die Modernisierung der Werke investiert und die Produktpolitik verändert. Aus dem Geschäft mit Autos der Mittel- und Oberklasse, das in Europa von den Deutschen dominiert wird, zog sich Fiat zurück. Stattdessen setzte man erfolgreich auf Kleinwagen.

Der Einstieg bei Chrysler ist für Fiat eine Überlebensfrage: Allein ist der Konzern zu klein, um langfristig zu überleben. Das sagen die meisten Branchenexperten und auch Marchionne selbst. Seiner Meinung nach hätten nur jene Hersteller eine Chance, die mehr als fünf Millionen Fahrzeuge pro Jahr produzieren.

Fiat-Modelle in den USA?

Mit Chrysler hoffen die Italiener auch, den Markt in den USA erschließen zu können, auf dem Fiat bisher nicht vertreten ist. Mit kleinen und effizienten, von Fiat stammenden Fahrzeugen könnte Chrysler bei den immer verbrauchsbewussteren US-Kunden wieder landen, so die Hoffnung in der Turiner Autozentrale.

Anders sieht die Situation bei Opel aus. Die Deutschen sind in Europa einer der Hauptkonkurrenten von Fiat. Vor allem auf dem Kleinwagenmarkt treten Opel Corsa und Fiat Punto direkt gegeneinander an. Mit der Übernahme von Opel würde sich Fiat also primär einen Wettbewerber vom Markt kaufen.

Vorteile gäbe es nur durch Einsparungen mittels der Zusammenlegung von Produktion und Einkauf. Angesichts der vorhandenen Überkapazitäten in den Werken beider Hersteller dürfte dies eine Schließungswelle nach sich ziehen – vor allem in Deutschland, wie befürchtet wird. Zudem gibt es den Vorwurf, dass sich Fiat nur die deutsche Staatshilfe für Opel ins Unternehmen holen will. Deshalb und wegen der befürchteten Fabrikschließungen wehren sich deutsche Politiker gegen einen Einstieg Fiats bei Opel.

Dies beflügelt die Ambitionen des austrokanadischen Autozulieferers Magna, zusammen mit dem russischen Hersteller Gaz bei Opel zu landen. Doch offenbar gibt es noch mehr Interessenten: „Wir haben mehrere Investoren, nicht nur die, die in der Presse gehandelt wurden“, erklärte Opel-Betriebsratschef Klaus Franz.

Wie groß der Rückschlag für Fiat bei einen gescheiterten Opel-Einstieg wäre, ist fraglich. Die Gefahr ist groß, dass sich der eben erst genesene Konzern mit dem deutschen Autohersteller neue Probleme ins Haus holt. Bis auf das internationale Vorbild Renault–Nissan sind die meisten großen Auto-Ehen zuletzt gescheitert. Daimler gab Chrysler nach wenigen Jahren mit horrenden Verlusten wieder ab, zuvor holte sich BMW bei Rover eine blutige Nase.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2009)

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