Ein klassischer Fall von völligem Politikversagen

Allein Österreich wird der Grexit neun Milliarden Euro kosten. Trotzdem schlittert die europäische Politik unaufhaltsam in Richtung GAU.

Zum Einstieg eine Prognose mit ziemlich exakt 100 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit: Der Schuldenschnitt für Griechenland, um den die Athener Regierung mit der EU so erbittert ringt, kommt. Es gibt dazu drei Varianten.

Erstens die unehrliche, also die Streckung der Hilfskredite auf St. Nimmerlein. Das Geld ist dann weg, aber man sieht es in den Budgets nicht so schnell, weil man ja so tun kann, als sei dies bloß eine ausstehende Forderung, die man spät, aber doch wird eintreiben können.

Zweitens die unrealistische: Die Gläubiger (also im Wesentlichen IWF, EZB und die Euroländer, Bankverbindlichkeiten gibt es ja kaum noch) erlassen den Griechen, wie von Athen verlangt, die Hälfte der Schulden, Griechenland bringt seinen Staatshaushalt im Gegenzug so in Ordnung, dass es künftig auf eigenen Beinen stehen kann. Das kostet allein Österreich 4,5 Milliarden Euro, also den Gegenwert einer Steuerreform, die sofort im Budget schlagend werden, beendet aber wohl die Krise.

Drittens die harte: Griechenland muss den Euro verlassen, was zur sofortigen Staatspleite führt. Der Staat fällt zumindest für einige Zeit auf den Status eines DritteWelt-Landes zurück, die Finanzmärkte werden vorübergehend ordentlich durchgebeutelt – und das österreichische Budget wird mit rund neun Milliarden Euro, also dem Gegenwert von zwei Steuerreformen, belastet.

Das ist die für alle Seiten teuerste – derzeit aber leider wahrscheinlichste Variante. Um diese zu vermeiden, müssten die Herren Tsipras und Varoufakis in Athen nämlich vor ihre Wähler hintreten und einbekennen, dass ihr Poker nicht aufgegangen ist und nun eben einige wesentliche Abstriche bei der Umsetzung der etwas zu vollmundigen Wahlversprechen gemacht werden müssen. Das werden sie innenpolitisch wohl nicht überleben.

Und einige europäische Regierungen, speziell die deutsche, müssten ihren Wählern gegenüber die Unhaltbarkeit der „Lebenslüge“ (© „Der Spiegel“) von der vollständigen Eintreibbarkeit der Griechen-Schulden eingestehen. Was ihnen wohl auch nicht gerade neue Popularitätsrekrode bescheren würde. In Österreich könnte beispielsweise jemand Ex-Finanzministerin Maria Fekter fragen, wo denn das „gute Geschäft“ bleibe, als das sie die Griechen-Rettung 2011 im Nationalrat bezeichnet hat.

Wir steuern also aus politischen Opportunitätsüberlegungen der handelnden Akteure sehenden Auges auf den gefürchteten Greccident zu: den Unfall, den alle vermeiden wollen, der aber trotzdem geschieht, weil keiner vom Gas zu gehen können glaubt.


Natürlich liegt die Hauptschuld bei der aktuellen griechischen Regierung: Keinem Europäer ist beispielsweise erklärbar, wieso er einen Teil seiner Steuerleistung nach Athen überweisen soll, um damit die Frühpensionen griechischer Beamter, die laut Tsipras-Plan weiter mit 56 in den Ruhestand gehen können, zu finanzieren. Und keinem Europäer lässt sich vermitteln, wieso ein Teil seiner Mehrwertsteuerleistung als Hilfe nach Griechenland transferiert werden soll, nur weil die griechische Regierung, wie Finanzminister Varoufakis selbst sagt, nicht in der Lage ist, die eigenen Mehrwertsteuergesetze zu exekutieren.

Dass die aufreizende Untätigkeit der Athener Regierung in Sachen Steuerpflicht für Reiche und Nomenklatura-Mitglieder die Hilfsbereitschaft der EU-Bevölkerung signifikant erhöhen könnte, ist wohl auch nicht zu erwarten.

Die aktuelle griechische Regierung will also nicht „liefern“. Und die EU kann das schon wegen der Beispielwirkung für andere Peripheriestaaten mit Syriza-Ambitionen nicht akzeptieren. An echte Kompromisse denkt zumindest vorerst keiner. Ein klassischer Fall von Politikversagen zulasten der Bevölkerung (vor allem, aber nicht nur) Griechenlands.

Das Geld, das in den vergangenen Jahren Richtung Süden geflossen ist, kommt nie wieder, das ist klar. Wieso man aber in dieser Situation auch noch die schlechteste und teuerste Variante wählen muss – darüber werden Politikwissenschaftler wohl noch lang rätseln.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2015)

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