Harry Rowohlt: Ein liebender Lesender

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GERMANY HARRY ROWOHLT OBIT(c) APA/EPA/ROLF VENNENBERND
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Nachruf. Harry Rowohlt tat alles, was man nicht von ihm verlangte – und war darin großartig: Als Übersetzer, als Autor, als Vortragender. Am Montag ist er gestorben.

Sie hatte eine Menge mit ihm vor, seine Familie: Schauspieler sollte er werden, wie die Mutter, meinte sein Vater, der Verleger Ernst Rowohlt, kurz vor seinem Tod. Nein, er solle ins Familienunternehmen eintreten, beharrte sein Bruder Heinrich auf dem ursprünglichen Plan – und schien keine Zweifel daran zu haben, dass der Jüngere brav folgen würde: „Vor dir liegen die schönsten Aufgaben im denkbar lohnendsten Beruf“, schrieb er ihm.

Und wirklich, Harry Rowohlt machte eine Weile mit: Er absolvierte eine Lehre als Verlagsbuchhändler beim Suhrkamp Verlag, volontierte bei Rowohlt und der New Yorker Grove Press. Und bog dann ab.

Der Welt der Bücher ist Harry Rowohlt treu geblieben. Der Welt der Bühne irgendwie auch. Aber in Hinkunft sollte er keine Sache mehr so anpacken, wie es vorgesehen wäre, sollte er keine Erwartungen mehr bedienen. Und so glückten ihm Dinge, die andere nicht einmal versucht hatten: Mit der Übersetzung eines Kinderbuchs berühmt zu werden etwa. Seine liebevolle Übertragung von A. A. Milnes „Pu der Bär“ wurde zum Klassiker. „Es war einmal vor einiger Zeit, und diese Zeit ist schon lange, lange her, etwa letzten Freitag. . .“ So beginnt eines der Abenteuer – und das wollten nicht nur Kinder unbedingt lesen.

Ein Bär von sehr geringem Verstand

Beziehungsweise hören: Als Rowohlt die Geschichten über einen „Bären von sehr geringem Verstand“ später einsprach, konnten endlich auch jene sich am brummenden Summen seiner Stimme freuen, an diesem sanften, tiefen, weit forttragenden Klang, die ihn nie bei einer seiner legendären Lesungen („Schausaufen mit Betonung“, nannte er sie) erleben konnten. 250.000 mal wurde das Hörbuch verkauft.

Sich Freiheiten nehmen. Das galt eben nicht nur für sein Leben, sondern auch für die Übersetzungen. Nicht alle Autoren kamen damit zurecht. Die Zusammenarbeit mit Art Spiegelmann scheiterte etwa daran. Andere Schriftsteller liebten ihn gerade dafür, dass er nicht nur nachempfand, sondern sich ein Buch so ganz und gar zu eigen machte. Der letzte große Coup gelang ihm mit Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“, ein Buch, das wie kaum ein anderes einen Übersetzer bitter nötig hatte, der wusste, dass Komik und Tragik einander nicht ausschließen, dass es aber großen Feingefühls bedarf, wenn beides nebeneinander wahrnehmbar bleiben soll. Er habe geweint beim Übersetzen, sagte Harry Rowohlt. Und wir haben geweint, als wir seine Übersetzung lasen. Und gelacht. Und geweint. Ein großartiges Buch!

Von Harry Rowohlt gibt es viele Anekdoten. Manche hat er wohl selbst in Umlauf gebracht, doch sie haben sich verändert beim Weitererzählen, und er musste sie dann korrigieren – wobei die Korrektur oft noch lustiger war als die ursprüngliche Anekdote. Er habe erst mit fünf Jahren zu sprechen begonnen! Stimmt nicht, meinte er später, er sei drei gewesen, und habe nur deshalb so lange geschwiegen, weil seine Mutter ihm nur gereimte Kinderbücher vorgelesen habe und er geglaubt habe, das Reden müsse sich reimen. Er habe seine Mutter eine „dumme Schauspielerin“ genannt! Auch falsch, „dumme Schauspielerin“ sei ein Pleonasmus. Er beantworte Briefe mit Rechtschreibfehlern nicht. Quatsch, meinte Harry Rowohlt.

Was offenbar stimmte: Dass er zur TV-Serie „Die Lindenstraße“ kam, weil er einen ungeliebten Termin einfach ins „Akropolis“ verlegte, ein Lokal, das nur in dieser Serie existiert. Man ging darauf ein, Produzent und Drehbuchschreiber entpuppten sich als Fans – und Rowohlt erfand für sich die Figur des Obdachlosen namens Harry, der gerne Sätze sagt wie: „Ich bin kein Vegetarier, ich mag nur kein Fleisch. Das einzige, was ich noch weniger mag als Fleisch sind Vegetarier“.

Klingt nach Rowohlt? Ist auch Rowohlt. Die Drehbuchschreiber ließen sich von der Kolumne „Pooh's Corner“ in der Wochenzeitung „Die Zeit“ inspirieren.

Das war neben den Übersetzungen, Lesungen und dem Schauspiel das vierte Feld, auf dem er brillierte. Hier konnte er die Worte tanzen lassen, wie er wollte, hier konnte er uns zeigen, was er alles wahrnahm, hoch sensibel, weltzugewandt, brummig, aber niemals zynisch. „Sagen, was man denkt“, das war ihm wichtig: „Und vorher was gedacht haben“. Das war ihm noch wichtiger.

Als 2007 bei ihm Polyneuropathie diagnostiziert wurde, hörte er – fast – auf zu trinken. Seine Lesungen taufte er in „Betonung ohne Schausaufen“ um. Am Montag ist Harry Rowohlt im Alter von 70 Jahren gestorben.

Werke

Übersetzungen. Harry Rowohlt hat rund 150 Werke übersetzt: Am bekanntesten neben „Pu der Bär“ wohl Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“ und Flann O'Briens „Auf-Schwimmen-zwei-Vögel“ – ein Roman, auf den er in seinen Memoiren anspielte: „In Schlucken-zwei-Spechte“ erschien 2002.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2015)

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