Ukrainischer Außenminister: "Russland gehört zu Europa"

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Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin warf Russland bei einem Treffen in Wien vor, sein Land destabilisieren zu wollen. Doch er entwarf auch ein vorsichtig optimistisches Szenario.

Im Osten der Ukraine toben Kämpfe, jeden Tag schlagen Granaten ein, jeden Tag sterben Menschen. Dienstagmittag gab der Sprecher der ukrainischen Armee den Tod von zwei Soldaten bekannt, gefallen an der Front, irgendwo zwischen Granitnoje und Horliwka. Die prorussischen Separatisten sprachen zunächst von drei Verwundeten. Bis Mitternacht wird sich die blutige Statistik wieder in die Höhe geschraubt haben.

Hunderte Menschen wurden getötet, seit sich die Staats- und Regierungschefs Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs in Minsk auf einen Waffenstillstand geeinigt haben. Das Abkommen ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben wurde. Beide Kriegsparteien verstoßen dagegen.

Gibt es einen Ausweg aus der Krise? Darüber diskutierte eine erlauchte Runde in der beschaulichen Wiener Bankgasse unweit des Burgtheaters. Die Münchner Sicherheitskonferenz hatte zu einem ihrer „Kerngruppentreffen“ ins barocke Stadtpalais Liechtenstein eingeladen. Illustre Debattenteilnehmer schritten die Prunkstiege hinauf: der ukrainische Außenminister, Pawlo Klimkin, ebenso wie der russische Vize-Außenminister, Alexej Meschkow, oder die Chefdiplomaten der Slowakei (Miroslav Lajčák), Serbiens (Ivica Dačić), Litauens (Linas Linkevičius), der Präsident Estlands (Toomas Hendrik Ilves), EU-Kommissar Johannes Hahn oder auch US-Milliardär George Soros.

Stakkatoartig gab Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Leitfragen vor: Was können wir und Russland tun, um den Konflikt zu entschärfen? Hat sich Russland strategisch von Europa abgewendet? Wie kann wieder Vertrauen aufgebaut werden? Unternimmt die Nato zu wenig oder zu viel? Was kann Europa tun, um das Überleben der Ukraine zu sichern?

Wirtschaftskrieg mit Kiew

Erste Antworten versuchte der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin zu geben. Für die Zukunft der Ukraine seien drei Punkte wichtig. Erstens müsse es vereint bleiben. Das sei keine Plattitüde mehr, sondern existenziell, sagte Klimkin. Zweitens werde die Ukraine demokratisch bleiben. Die Maidan-Proteste hätten einen Bruch mit der postsowjetischen Ukraine markiert. Im Kriegszustand sei es zwar schwierig, sich auf Reformen zu fokussieren, sagte er. Doch der Wille sei da. Und drittens stehe der europäische Weg der Ukraine außer Diskussion. „Man wird uns nicht abhalten von der Implementierung des EU-Assoziierungsabkommens“, sagte Klimkin und warf Russland vor, die Ukraine destabilisieren zu wollen. Ein deutscher Teilnehmer ergänzte: Moskau wolle die Ukraine auch ökonomisch am Boden sehen. Der Westen müsse deshalb verhindern, dass die Ukraine – vor Russland – wirtschaftlich zusammenbreche.

Widerspruch kam von einem russischen Diskutanten in der nicht öffentlichen Debatte. Moskau wolle die Ukraine nicht destabilisieren. Es wolle jedoch deren Integration in euro-atlantische Strukturen verhindern, solange Russland darin noch keinen Platz gefunden habe. Das klang wie ein Brückenschlag. Eine ähnliche Idee ventilierte Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz. Sicherheit in Europa könne nur mit und nicht gegen Russland erreicht werden. Es dürfe keine Rückkehr zu einem Blockdenken und nicht länger ein Entweder-oder zwischen Russland und Europa geben.
Da wich auch Klimkin nicht ab. „Für mich gehört Russland zu Europa“, sagte der ukrainische Außenminister und warnte Moskau, ein „Doppel-Europa“ mit unterschiedlichen Werten kreieren zu wollen. Die Umsetzung des Minsk-Abkommens hält Klimkin für möglich, wenn man sich auf Regeln einige. Eine rasche Wiederherstellung von Vertrauen ist für ihn aber eine Illusion. Der größte Fehler wäre es, einen eingefrorenen Konflikt zu schaffen, so Klimkin.
Später sollte ein Diskutant einwerfen, dass viele Ukrainer derzeit einen eingefroren Konflikt dem täglichen Sterben vorzögen.

Ein Hauch des Kalten Krieges wehte durch das Palais, steifer noch die Brise in Osteuropa: Dort liegen die Nerven blank. Die USA wollen Panzer und schwere Waffen in Nato-Mitgliedsländern entlang der russischen Grenze stationieren, um den Kreml von einer weiteren Invasion abzuschrecken. Moskau schäumt und droht damit, seine Streitkräfte an der westlichen Front zu verstärken und Iskander-Raketen nach Kaliningrad zu schaffen.

Putin: 40 neue Atomraketen

Am Dienstag legte Kreml-Chef Wladimir Putin nach. Russland werde noch heuer seinem Atomwaffenarsenal 40 Interkontinentalraketen hinzufügen, erklärte er bei einer Rüstungsmesse nahe Moskau. Und der stellvertretende Verteidigungsminister, Anatoli Antonow, stöhnte. „Unsere Kollegen aus den Nato-Ländern stoßen uns in einen neuen Rüstungswettlauf.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2015)

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