35-Stunden-Woche: Das gefährliche Wundermittel

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Die Gewerkschaften verweisen bei der Forderung nach der 35-Stunden-Woche auf Frankreich. Doch das Land gilt als Negativbeispiel.

Wien. Die Gewerkschaften haben eine neue Aktion gestartet. Sie fordern die Verkürzung der Normalarbeitszeit auf 35 Stunden – und das bei vollem Lohn- und Gehaltsausgleich. Das soll die Arbeitslosigkeit senken. Nach dem Motto „Kürzer arbeiten – leichter leben“ werden derzeit Betriebsräte in ganz Österreich auf das Thema eingeschworen. Die Wirtschaft steigt auf die Barrikaden. „Das können wir uns wirklich nicht leisten“, warnt Anna Maria Hochhauser, Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Die Forderung der Gewerkschaft erweise sich als kontraproduktiv für den Standort Österreich.

Am heutigen Donnerstag will WKÖ-Präsident Christoph Leitl eine Umfrage des Market Instituts präsentieren. Dabei kam heraus, dass die meisten Österreicher mit ihrer Arbeitszeit zufrieden sind. Zwei Drittel der befragten Arbeitnehmer halten eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit in ihren Unternehmen für nicht vertretbar.

Die 35-Stunden-Woche war für den Gewerkschaftsbund (ÖGB) lange Zeit so etwas wie das Amen im Gebet. Doch Bernhard Achitz, leitender ÖGB-Sekretär, hatte vor zwei Jahren in der „Presse“ erklärt, dass es „keinen sturen Ruf“ mehr nach einer 35-Stunden-Woche gebe. Stattdessen wolle der ÖGB über flexiblere Arbeitszeitmodelle sprechen. Nun sucht die Gewerkschaft wieder den Konflikt mit der Wirtschaft.

„Die Presse“ befragte dazu Ökonomen und Wissenschaftler. Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) glaubt nicht, dass eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich die Arbeitslosigkeit merklich senken wird. Denn um das zu finanzieren, verteuern sich die Arbeitskosten. Und in Österreich seien die Lohnnebenkosten im EU-Vergleich schon jetzt besonders hoch.

„Arbeit ist nicht gleich Arbeit“

„Auch ist Arbeit nicht gleich Arbeit“, sagt Hofer. Wird die Arbeitszeit flächendeckend gesenkt, heißt das nicht, dass das Volumen an Arbeitszeit gleich bleiben wird und auf mehr Menschen aufgeteilt werden kann. „Man muss die regionalen und branchenspezifischen Besonderheiten berücksichtigen“, so Hofer. „Ein arbeitsloser Bauarbeiter im Waldviertel hat nichts davon, wenn in Vorarlberg eine Textilarbeiterin nur noch 35 Stunden arbeitet.“

Für eine Verkürzung der Arbeitszeit ist Jörg Flecker, Professor für Soziologie an der Universität Wien. Dieser nannte auf einem Gewerkschaftskongress Frankreich als Vorbild, wo 2000 die Wochenarbeitszeit von 39 auf 35 Stunden reduziert wurde. Damit sind laut Flecker 350.000 Jobs geschaffen worden, wenngleich er einräumte, dass das nur halb so viel war wie erwartet. Für den IHS-Experten Hofer ist Frankreich jedoch nicht das große Erfolgsbeispiel. Denn eine französische Studie zeigt, dass die 35-Stunden-Woche nur kurzfristig positive Effekte gehabt habe. Diese ergaben sich, da die Arbeitszeitverkürzung mit einer Senkung der Lohnnebenkosten durch den Staat verbunden war. Nach Auslaufen dieser Subvention ist auch der positive Effekt auf den Arbeitsmarkt weggefallen.

Ähnlich äußert sich Franz Marhold, Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien. „Wann begreift man endlich, dass Arbeit unter den Arbeitnehmern nicht eins zu eins austauschbar ist“, so Marhold. Selbst Frankreich musste bei der 35-Stunden-Woche zurückrudern. „Ursprünglich war in Frankreich die 35-Stunden-Woche vorgeschrieben, jetzt gibt es keine Verpflichtung mehr.“ Auch in Österreich würden einige Gewerkschaften einen anderen Weg gehen, sagt Marhold. So sei es in der heimischen Elektroindustrie möglich, dass Arbeitnehmer auf die jährliche Lohnerhöhung verzichten. Sie bekommen dafür mehr Urlaub.

Zurück zu Frankreich: Nach Einführung der 35-Stunden-Woche haben sich dort die Personalkosten massiv erhöht. Damit litt die Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Ende 2014 hatte die Arbeitslosenquote in Frankreich mit 10,1 Prozent ihren höchsten Stand seit 1997 erreicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2015)

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