Projekt EU-Liederbuch: Eine Shortlist für Österreichs Lieblingslieder

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Österreicher sollen über ihre bevorzugten Lieder abstimmen, die Liste reicht von Hubert von Goisern über Beethoven bis „Schlaf, Kindlein, schlaf“. Und: Herder und die Romantiker hätten ihre Freude damit.

Als der Dichter Herder mit Goethe und Lessing gemeinsam eine Sammlung von Liedern und Dichtungen herausgab, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass die Tradition, die er mit dem bis dahin unbekannten Wort „Volkslied“ benannte und pflegen wollte, 250 Jahre später noch so lebendig sein würde. Wie lebendig, kann man derzeit am Projekt EU-Liederbuch sehen – das mit der EU als Institution nichts zu tun hat. Ein privater dänischer Verein will auf europäischem Boden entstandenes, beliebt gewordenes Liedgut in einem Buch versammeln, und kam auf die Idee, in jedem einzelnen Land eine Abstimmung zu organisieren. Nach Dänemark ist derzeit als zweites Land Österreich an der Reihe – weil die „österreichische Musikgemeinschaft“ so viele Lieder nominiert habe, heißt es auf der Website des Vereins, www.eu-songbook.org. Auf ihr können die Österreicher seit einer Woche und noch bis zum 12. Juli aus einer Vorauswahl von 48 Liedern in insgesamt sechs Kategorien ihre Lieblinge auswählen.

 

Was ist ein „österreichisches“ Lied?

Herder glaubte, dass das „Wesen eines Volkes“ sich in seinen Liedern ausdrücken würde – ein nationaler Ansatz; trotzdem hatte er etwas Völkerverbindendes. In seiner ersten Liedsammlung versammelte Herder in- und ausländische Lieder und rief auch andere „berufene Personen aller Nationen zu Sammlung und Studium solchen Liedgutes“ auf. Auch der dänische Verein hat „berufene Personen“ zur Vorauswahl gebeten, nämlich Studierende und Lehrende österreichischer Musik-Unis und Chöre. Im Buch werden die in den jeweiligen Ländern ausgewählten Lieder aber nicht nach Nationalität, sondern nach Kategorien geordnet (Liebe, Natur, Volkslied, Friede und Freiheit, Kinderlied, Religion).

Das ist auch gut so, allein schon weil die „Nationalität“ der meisten Lieder in der österreichischen Liste gemischt ist. „Kriterium für die Auswahl war nicht, ob das Lied von einem österreichischen Komponisten stammt oder auf österreichischem Boden entstand, sondern ob es in Österreich gesungen und geliebt wird“, sagt der Musikethnologe Helmut Brenner von der Kunst-Uni Graz, der für das Liederbuch die Österreich-Redaktion betreut. Die seit den Liedersammlungen der Romantik so beliebten Volkslieder hießen schlicht „deutsche Volkslieder“.

Welchem Land soll man etwa das auf der Liste stehende „Aba heidschi bumbeidschi“ zuordnen? Die früheste bekannte Version („Haidl Bubaidl“) wurde auf österreichischem Boden aufgeschrieben, aber seine Herkunft liegt vielleicht auch in Deutschböhmen. Oder „Der Winter ist vergangen“? Es kommt eigentlich aus den Niederlanden („Die winter is verganghen“) und ist uralt, in den deutschsprachigen Raum kam es erst Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Dichter Hoffmann von Fallersleben es entdeckte.

Dementsprechend bunt gemischt ist auch die österreichische Shortlist. Auf ihr finden sich etwa neben Hubert von Goisern (als einziger Zeitgenosse mit zwei Liedern vertreten, „Brennan tuats guat“ und „Weit, weit weg“) Fendrichs „Weus'd a Herz hast wia a Bergwerk“ oder Danzers „Die Freiheit“ Brahms-Lieder und Beethovens „Ode an die Freude“. Auch „Am Brunnen vor dem Tore“ wurde ausgewählt, als Komponist wird Schubert angeführt. Freilich ist genau genommen die Bearbeitung von Schuberts „Lindenbaum“ durch Friedrich Silcher gemeint, die das (dann nach den Anfangszeilen benannte) Lied erst zum Volkslied gemacht hat.

 

Melodien, die bis ins Mittelalter reichen

Dazu kommen verschiedenste deutschsprachige Klassiker, etwa: „Wann du durchgehst durchs Tal“, „Da Summa is aussi“, „Kein schöner Land in dieser Zeit“, „Schlaf, Kindlein, schlaf“, „Heißa Kathreinerle“ . . . Etliche von ihnen wären heute völlig unbekannt, wenn Herder und nach ihm vor allem die Romantiker nicht so begeistert Volkslieder gesammelt und veröffentlicht hätten, in Sammlungen wie „Des Knaben Wunderhorn“. Faszinierend auch, wie alt viele der Lieder sind, die heute noch gesungen werden: Die Melodie von „Heißa, Kathreinerle“ etwa lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Niemand würde Lieder heute noch als „lebendigste Grammatik“, als „bestes Wörterbuch“ eines Volkes bezeichnen wie Herder. Aber die von ihm geschaffene Tradition wirkt im EU-Liederbuch nach. Das „Wesen eines Volkes“ sucht man in Liedern (Gott sei Dank) nicht mehr. Wohl aber etwas europaweit Verbindendes. Man nennt es halt Identität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)


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