Cohn-Bendit: „Der Markt weiß nicht, was Zukunft ist“

(c) EPA (Olivier Hoslet)
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Der grüne EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit der "Presse" zur Wirtschaftskrise und der Gefahr falscher Werte: "Es gibt keinen Grund, warum ein Bauer fünfhundertmal weniger verdienen muss als ein Manager".

Die Presse: Viele setzen Hoffnungen darauf, dass die Wirtschaftskrise die Werte wieder in Ordnung bringt. Ist das eine Illusion?

Daniel Cohn-Bendit: Ich glaube, die Chance auf eine sozialere, auf eine gerechtere, friedlichere Welt ist da. Das ist aber nicht Gott-gegeben, weil der nicht existiert. Das ist die Aufgabe der Politik. Sie muss es schaffen. Was mich entsetzt, ist, dass man in Zeiten der Krise so leicht vor den Verlogenen in die Knie geht. Wenn man anfängt, in die Knie zu gehen, hat man meistens schon verloren.

Es gibt sowohl von von linker, wie von rechter Seite den Wunsch nach Rückzug in die Region, in den Nationalstaat. Ist nicht eher die Gefahr da, dass wir vor einer neuen Politik der Abschottung stehen?

Cohn-Bendit: Manchmal träume ich davon, diesen Menschen für vier Monate lang die Macht zu geben. Die sollen das einmal versuchen mit ihren Kleinstaaten-Träumen. Da gebe es einen Massenaufstand. Weil das natürlich mehr Armut, mehr Schwierigkeiten schaffen würde. Ja, man kann auch Alpträume zu Träumen machen. Die Gefahr besteht tatsächlich, dass in der Krise die Angst die Menschen rückwärts trägt.

Rückwärts in Richtung Nationalismus?

Cohn-Bendit: Ja, das ist die Gefahr. Schauen wir uns das einmal am Beispiel des Euro an. Stellen Sie sich vor, wir hätten ihn jetzt in der Krise nicht. Wie sehr würden die Leute jammern. Es gibt derzeit eine Wolke, die ist dunkel und schwarz. Und da wird plötzlich so gemacht, als ob dahinter die Sonne nicht mehr existiert.

Die Schwarz-Weiß-Sicht haben wir aber derzeit überall in der Krisen-Debatte: Denken Sie nur an die Vermögenssteuer an die Kritik an den hohen Managergehältern. Schaffen wir nicht auch da neue Feindbilder, statt Lösungen anzubieten?

Cohn-Bendit: Das ist richtig. Das Problem ist nur, dass diese Krise auch durch einen theologischen Glauben an den Markt entstanden ist. Das war die neue Religion. Nach dem Kommunismus war es der Markt. Man hat vergessen, dass der Markt eines nicht kann: Er weißt nicht was Zukunft heißt. Der Markt muss unmittelbar Rendite produzieren. Und deshalb kommen wir aus dieser Krise nur mit einer sozialen und ökologischen Regulierung des Markts heraus. Und wir kommen nur raus, wenn wir einen neuen Sinn für Verantwortung entwickeln. Es gibt keinen Grund, warum ein Bauer fünfhundertmal weniger verdienen muss als ein Manager. Wir haben eine Spreizung der Löhne und Gehälter, die einfach ungerecht ist. Wir brauche ein gerechtes Europa. Aber es geht nicht nur um Manager: Ein junger Spieler – 22 Jahre – des Fußballclubs Paris Saint Germain verdient 90.000 Euro pro Monat. Das ist doch nicht nachvollziehbar. Unsere Gesellschaft hat die Maßstäbe verloren. Das müssen wir zurückgewinnen.


Wie kann das zurückgewonnen werden, ohne neue Feindbilder zu schaffen?

Cohn-Bendit: In dem wir die Lehre der Aufklärung, die öffentlich Debatte, wieder stärken. Nur die demokratische öffentliche Debatte regelt das positiv.

Die Tendenz geht aber in eine andere Richtung. Wo ist beispielsweise diese öffentliche Debatte zu den Europawahlen? Die Menschen ziehen sich eher zurück, wollen nicht einmal wählen gehen.

Cohn-Bendit: Weil Europa etwas Neues ist. Es muss sich erst entwickeln. Niemand hat die Legitimität eines US-Präsidenten in Frage gestellt, weil nur 48 Prozent gewählt haben.


Sie haben von Werten gesprochen. Doch gerade die ökologischen Werte, für die Grüne eintreten, haben derzeit wegen der Krise verloren. Sie gelten als Luxus.

Cohn-Bendit: Hier drehen sich aber die Voraussetzungen um. Wir haben nun Barack Obama. Er sagt, dass es keine ökonomische Lösung gibt, wenn es nicht eine ökologische Transformation gibt. Sie können die Automobilindustrie in der heutigen Form nicht retten. Es wird am Ende weniger Autos geben und ganz andere Autos. Wir müssen aufzeigen, dass die Krise durch die Eigenlogik dieses Markts entstanden ist: Immer mehr, immer schneller, bis wir an die Wand fahren. Nur die ökologische Transformation gibt uns wieder Luft. Wir müssen über die industriellen Produkte wieder nachdenken.


Eine solche Umstrukturierung oder Transformation, wie Sie es nennen, wird aber vorerst viele Arbeitsplätze kosten.

Cohn-Bendit: Diese Arbeitsplätze wird es sowieso kosten. Diejenige, die die Arbeit verlieren, müssen einen Lohn bekommen und eine Ausbildung erhalten, damit sie wo anders arbeiten können. Ihnen aber zu sagen, ihr könnt weiter in der Automobilindustrie tätig sein, ist verlogen.


In der Krise wird auch ein Stopp der EU-Erweiterung diskutiert. Hat man die Menschen mit zu raschen Beitritten überlastet?

Cohn-Bendit: All die Schlaumeier, die heute sagen, wir hätten das langsamer machen sollen, müssen sich klar sein, was die Folge gewesen wäre: Das hätte eine massive Ost-West-Wanderung gebracht. Da hätten wir eine neue Mauer bauen müssen.

Was für ein Ergebnis wünschen Sie sich für die Grünen bei den Europawahlen?

Cohn-Bendit: In Deutschland hoffe ich, dass die Grünen auf 12 oder 13 Prozent kommen. Und in Österreich hoffe ich, dass sie auch wieder 12 Prozent erreichen. Aber es ist eine Frage des Kampfes.

ZUR PERSON

Daniel Cohn-Bendit war prominenter Exponent der 68er Bewegung.
Der „rote Daniel“ wurde 1984 Mitglied der Grünen und ein Jahrzehnt später in das Europaparlament gewählt. Dort ist er derzeit Co-Vorsitzender der grünen Fraktion. Cohn-Bendit unterstützt auch den Wahlkampf der österreichischen Grünen, zu deren Wahlveranstaltung er vergangenes Wochenende nach Wien kam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2009)

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