Schwedens Ex-Außenminister Carl Bildt nahm an einem Strategiegespräch im Wiener Außenamt teil.
Wien. Wehmütig zitierte Schwedens Ex-Außenminister Carl Bildt (2006 bis 2014) im Marmorsaal des Außenministerium in Wien aus der „Europäischen Sicherheitstsrategie“ des Jahres 2003. „Europa war noch nie so prosperierend, sicher und frei“, hatte es darin geheißen. Die Zeiten haben sich gravierend verändert. Heute sei Europa von einem Feuerring umgeben, von kriegerischen Krisen im Osten und Süden, sagte Bildt im Strategiegespräch, das der Politologe Ivan Krastev vom Institut für die Wissenschaft vom Menschen und „Presse“-Außenpolitikchef Christian Ultsch mit ihm auf Einladung des Außenamts führten.
Die außenpolitische Glaubwürdigkeit der EU entscheide sich in ihrer unmittelbaren Umgebung, erklärte Bildt. Doch die Union sei weder intellektuell noch mental auf die Doppelkrise in der Ukraine und im Nahen Osten vorbereitet. Die EU habe keine Strategie im Umgang mit Russland und stehe auch südlich des Mittelmeers auf verlorenem Posten. Die transformierende Kraft, die die EU als Handelsmacht entwickelt habe, habe noch keinen außenpolitischen Ausdruck gefunden.
Ratlos im Nahen Osten
Bildt plädierte leidenschaftlich dafür, Russland die Stirn zu bieten und die Ukraine zu unterstützen, vor allem auch wirtschaftlich. Aus dem Publikum merkte Stefan Lehne, ehemals Politischer Direktor im Außenamt und mittlerweile Denkfabrikant bei der Carnegie-Stiftung, dass die zerfallenden Staaten im Nahen Osten eine viel größere Herausforderung für die EU darstellten als Russland. Europa wisse, wie man mit Russland umgehe. Vor dem Nahen Osten stehe es ratlos da.
Bildt widersprach. Der Konflikt mit Russland, dessen Absichten man lang falsch interpretiert habe, könne schnell eskalieren. Er warnte davor, dass Moskau und die Nato in einen Krieg stolpern könnten. (red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)