Vormarsch der Islamisten: Alarm um Atommacht Pakistan

(c) Reuters (Faisal Mahmood)
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Die Gotteskrieger bringen immer mehr Teile des Landes unter ihre Herrschaft. Könnten Pakistans Atomwaffen in die Hände von Extremisten gelangen? Ein hoher pakistanischer Armeeoffizier sagt: "Wenn Pakistan kollabiert, wird die ganze Welt zusammenbrechen."

Die Alarmglocken könnten lauter gar nicht schrillen: US-Präsident Barack Obama zeigt sich „zutiefst besorgt über die Situation in Pakistan“, seine Außenministerin Hillary Clinton sieht von dem Land derzeit gar eine „existenzielle Bedrohung“ ausgehen.

David Kilcullen, Berater von General Petraeus, Chef des US-Zentralkommandos, erwartet einen „Kollaps des pakistanischen Staates innerhalb der nächsten sechs Monate“. Ein arabischer TV-Journalist gab Pakistan bei einer Diskussion in Berlin letzte Woche gerade noch einen Monat Überlebenszeit. Und ein hoher pakistanischer Armeeoffizier sagt: „Wenn Pakistan kollabiert, wird die ganze Welt zusammenbrechen.“ Es ist der Vormarsch der radikalen Islamisten in Pakistan, der die Alarmstimmung ausgelöst hat. Von ihren Hochburgen in der Grenzregion zu Afghanistan bringen sie immer mehr Gebiete unter ihre Kontrolle, nähern sich den großen Städten. „Es ist wie eine Blutvergiftung“, sagt David Kilcullen. Das Bedrohliche: Pakistan hat Atomwaffen, mindestens 40, manche Quellen sprechen von bis zu 80. Was, wenn die Massenvernichtungswaffen in die Hände von Islamisten fallen?

Die vier Zentralprobleme: Die Regierung ist der Bedrohung durch die Islamisten bisher nur zögerlich entgegengetreten. Die politische Elite ist zerstritten, die Armee geht nur halbherzig gegen die Extremisten vor, die sie einst selbst gefördert hat. Und die Wirtschaftskrise treibt den Radikalen immer mehr Anhänger in die Arme.

1. Zerstörerisch: Die Islamisten


Gewalt zwischen diversen Glaubensgruppen und islamischen Glaubensrichtungen hat es im Vielvölker- und Multireligionsstaat Pakistan immer gegeben. Aber seit den 1980er-Jahren ist vor allem unter den sunnitischen Stämmen an der Grenze zu Afghanistan eine permanente Radikalisierung im Gange. Die Schübe dafür waren der Krieg gegen die Sowjets in Afghanistan, die Entstehung der Taliban-Bewegung, der 11. September 2001 und der darauf folgende Krieg des Westens gegen den Terror.
Mittlerweile ist in den Stammesgebieten eine eigene pakistanische Taliban-Bewegung entstanden – genauso kämpferisch wie die afghanische und in ihrer Glaubensauslegung genauso rigoros steinzeitlich. Sie breitet sich in immer mehr Landesteilen aus und errichtet dort Schreckensregime, zuletzt im Swat- und im Buner-Tal. Dort versucht sie die Armee zurzeit wieder hinauszudrängen.

2. Zermürbend: Die wirtschaftliche Lage


Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat Pakistan voll getroffen. Alle Indikatoren weisen seit Herbst 2008 nach unten, nur Inflation und Arbeitslosigkeit gehen rasant in die Höhe. Ende 2008 stand Pakistan am Rand des wirtschaftlichen Kollapses, sodass der Internationale Währungsfonds mit einem Notkredit einspringen musste.
Dem Land fehlt eine steuerliche Basis, nur ein Prozent der 170-Millionen-Bevölkerung zahlt Einkommensteuer. So fehlt das Geld für dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen zur Verbesserung der Bildung, Gesundheit, Versorgung mit Energie und sauberem Wasser. In der Millionenmetropole Karatschi sterben monatlich mehr Einwohner wegen verseuchten Wassers, als pakistanische Soldaten in allen Kriegen gegen Indien gefallen sind. Für das Militär gibt Islamabad 47-mal mehr Mittel aus als für sauberes Wasser und Abwasserentsorgung.

3. Zerstritten: Die politische Elite


Die Hoffnungen, dass durch die Rückkehr einer zivilen Regierung an die Macht nach der Ablöse von General Musharraf die Probleme des Landes entschlossen angepackt werden, haben sich nicht erfüllt. Die beiden großen Parteien des Landes, die zuerst gemeinsam die Regierung gebildet hatten, standen bald in erbittertem Streit miteinander, was vor den wirklichen Schwierigkeiten – Talibanisierung, Wirtschaftskrise – ablenkte.

4. Zwiespältig: Armee und Geheimdienst


Die pakistanische Armee, mindestens 450.000 Mann stark, ist durch ihr obsessives Feindbild Indien wie gelähmt. Sie hat sich über Jahrzehnte für den konventionellen, inzwischen auch nuklearen Krieg gegen den großen Nachbarn gerüstet. Deshalb hat sie sich in Afghanistan engagiert (um strategische Tiefe zu gewinnen), hat den Kaschmir-Krieg geschürt (um indische Kräfte zu binden) und konzentriert ihre Kräfte an der Grenze zu Indien.
Der Militärgeheimdienst ISI hat zudem islamistische Terrorgruppen gefördert, bewaffnet und ausgebildet, um sie für „Nadelstiche“ gegen Indien und unliebsame Machthaber in Afghanistan einzusetzen. Jetzt wenden sich diese „Monster“ gegen den pakistanischen Staat selbst. Aber: Die Armee ist nicht nur ein Problem, als intakteste Institution könnte sie auch die Lösung des Problems im Kampf gegen die Extremisten sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2009)

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