Der Mensch will fühlen, fühlen, fühlen

Lilian Loke, Jahrgang 1985, lebt und schreibt in München.
Lilian Loke, Jahrgang 1985, lebt und schreibt in München. Spritz.de/Hoffmann und Campe
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Lilian Loke schreibt mit "Gold in den Straßen" einen feinen Erstlingsroman. Es geht um Gier und Geld und um die Leere, die mit nichts davon zu füllen ist.

Thomas Meyer hat seine Rituale. Bevor ein Vertrag unterschrieben wird, isst er nichts. Trinkt nur Wasser und einen kurzen Espresso. Er will seinen Magen roh und leer. Nur so lässt sich das Brennen des Champagners richtig spüren, wenn mit einem Glas darauf angestoßen wird, dass wieder eine Luxusimmobilie den Besitzer gewechselt hat. Dann feiert Meyer, dass er es immer noch draufhat, seine Kunden zu lesen wie offene Bücher, ihre Wünsche und Begierden zu erkennen und die richtigen Knöpfe zu drücken. Denn den Menschen, das hat Thomas Meyer schon lang erkannt, geht es nur vordergründig um Besitz. In Wahrheit wollen alle fühlen, fühlen, fühlen.

Meyer ist der Protagonist von Lilian Lokes Erstlingsroman „Gold in den Straßen“. Die gebürtige Münchnerin (Jahrgang 1985) ist eine mit zahlreichen Stipendien unterstützte Jungautorin. „Gold in den Straßen“ ist eine Variation eines zugegebenermaßen schon etwas abgegriffenen Themas: Es geht um Gier, um Geld, um knallharten Wettbewerb, um das High nach einem Abschluss, das Gefühl der Allmacht und um Unverletzlichkeit. Um Männer, die sich auch drei Jahrzehnte nach Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ noch immer wie Masters of the Universe fühlen und das auch unbelehrbar weiterhin tun werden, wo immer Testosteron und der schnell verdiente Euro aufeinanderprallen und Männer sich zähnefletschend-kameradschaftlich nur mit dem Nachnamen anreden.


Allerweltsname. Doch Meyer ist aus einem anderen Holz geschnitzt als der Prototyp dieser Spezies, Sherman McCoy aus Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ – oder vielmehr aus gebranntem Ton geformt: nach außen hin hart und glatt, innen eine Mischung aus weich und hohl, ein Bud Fox („Wall Street“), der den Gordon Gekko in sich sucht. Deshalb überlässt Meyer auch nichts dem Zufall. Der Immobilienmakler, Spezialist für das Luxussegment, ist zwar mit einem Allerweltsnamen geschlagen („immerhin nicht so schlimm wie Müller oder Schmid“), plant und stylt aber alles andere penibel, bis der gewünschte Showeffekt erzielt ist.

Dann erst fühlt sich Meyer sicher – in einem teuren Anzug und seinem alten Jaguar. Sicher, dass niemand mehr dahinter den Sohn des knausrigen Schusters durchschimmern sieht. Schon gar nicht die Freundin aus viel zu gutem, altem Haus – Nadja, die stilsichere Platinblonde mit einem leichten Hang zum Ordinären, was Männer betrifft. Oder die Kollegen, die eifersüchtig darauf warten, dass der Golden Boy sich verkalkuliert. Oder der Vater selbst. Auch ihm soll gezeigt werden, wie weit der Mann sich von dem Buben entfernt hat, der sich sein karges Taschengeld damit verdienen musste, dass er die nach Schweiß miefenden Schuhe von Vaters Kundschaft auf Hochglanz brachte. Den Geruch an seinen Händen hat Thomas bis heute in der Nase.

Deshalb ergreift Meyer auch begierig die große Chance, die sich ihm bietet, als der Vater stirbt und das sanierungsbedürftige Haus der Schustereiwerkstatt frei wird. „Prime location“ mitten im Frankfurter Bankenviertel. Er könnte mit einem Schlag der Abrissbirne seine Herkunft und Vergangenheit dem Erdboden gleichmachen und darauf das Symbol seines neuen Lebens errichten, ein Apartmenthaus mit 14 Luxusimmobilien. So stellt Thomas Meyer sich das vor. Doch er verkalkuliert sich. Auf den Verkauf der Seele stand schon bei den Gebrüdern Grimm die Höchststrafe.


Zeigefinger unten. Denn Thomas Meyer ist eben kein lupenreiner Macher ohne Gewissen. Das merkt man nicht nur daran, dass er regelmäßig mit seinem blinden Freund Koll ins Museum geht, um diesem dort die Bilder zu beschreiben. Das zeigt sich vor allem in der Art, wie Thomas mit dem Akt des Verkaufens umgeht. War ein Abschluss erfolgreich, spürt er sich, fühlt sich heil, zumindest einen Moment lang. Dass es dieses Gefühl ist, das die Löcher in seinem Herzen stopft, und nicht das Gold in den Straßen, ist die Moral von Lokes Geschichte. Dass der Zeigefinger unten bleibt, macht es zu einem lesenswerten Buch.

Neu Erschienen

Lilian Loke

„Gold in den Straßen“ Hoffmann und Campe

352 Seiten

22,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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