Auf Heimatsuche in Österreich

ASYL: ZELTSTADT FUeR FLUeCHTLINGE IN SALZBURG
ASYL: ZELTSTADT FUeR FLUeCHTLINGE IN SALZBURGAPA/BARBARA GINDL
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Österreich war nicht immer ihr Ziel, gelandet sind sie dennoch hier. Und obwohl nicht alle wissen, ob ihnen tatsächlich Asyl gewährt wird, versuchen sie, eine neue Existenz aufzubauen.

Sie haben lange, gefährliche Reisen auf sich genommen, um Krieg und Verfolgung zu entrinnen. Ihre Wege führten in klapprigen Booten über das Meer, über die Berge zwischen Pakistan und dem Iran oder über Waldwege in Ungarn und Serbien. Der Palästinenser aus Syrien, Riyad G., die beiden Afghanen Ahmad A. und Sherugha S., Babucarr S. aus Gambia – sie alle sind auf ihrer Flucht in Österreich gestrandet. Und sie hoffen, hier eine neue Heimat zu finden. Die vier Männer sind die Gesichter, die sich hinter den nüchternen Zahlen verbergen.

Weltweit hat die Zahl der Flüchtlinge zuletzt massiv zugenommen. Ein Grund ist die zunehmende Zahl an Kriegen und Konflikten. Allein der Bürgerkrieg in Syrien hat mehr als elf Millionen Menschen die Heimat verlieren lassen – 7,6 Millionen davon leben in dem Land als intern Vertriebene, 3,9 Millionen konnten sich ins Ausland durchschlagen. Etwa 1,6 Millionen dieser syrischen Flüchtlinge leben in der Türkei, 1,2 Millionen im Libanon – einem Land, das selbst nur etwa 4,5Millionen Einwohner hat. Auch der Krieg in Afghanistan und die Konflikte in Afrika treiben unzählige Menschen in die Flucht.

In Österreich waren es ebenfalls vor allem Syrer und Afghanen, die 2014 Asyl beantragt haben. Insgesamt wurden in Österreich 2014 rund 28.000 Asylanträge gestellt. Für das laufende Jahr werden bis zu 70.000 Flüchtlinge erwartet – eine Entwicklung, die auch die österreichische Politik herausfordert. So stellen die meisten Bundesländer – mit Ausnahme von Wien, Niederösterreich und der Steiermark – nach wie vor zu wenige Quartiere für Asylwerber zur Verfügung.

Kanzler Werner Faymann (SPÖ) will daher kommenden Mittwoch bei einem Treffen mit den Landeschefs über Bezirksquoten für die Flüchtlingsunterbringung diskutieren – mit einem Aufteilungsschlüssel, der sich nach der Bevölkerungszahl richtet. Derzeit gibt es in jedem Bundesland Bezirke, die die angenommene Quote übererfüllen, und solche, die darunter liegen. Baden liegt hier mit dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen bei 421 Prozent, Lilienfeld bei 337 Prozent, Wien bei 110. In der burgenländischen Freistadt Rust gibt es dagegen etwa einen Nuller.


„Frivol gespielt“. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (beide ÖVP) halten den Vorschlag zumindest für diskussionswürdig, ebenso wie die Idee, im Sommer Schüler- und Studentenheime für Flüchtlinge zu öffnen. Grundsätzlich sieht Mitterlehner aber angesichts der „Art Völkerwanderung“, die auf Europa zukomme, vor allem die EU gefordert. Es brauche eine Quote für die Aufteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedsstaaten, so der Vizekanzler gestern im ORF-Radio. Außerdem solle man die Kooperation mit den afrikanischen Staaten forcieren.

Grenzkontrollen, wie sie zuletzt der oberösterreichische Landeschef Josef Pühringer (ÖVP) forderte, dessen Bundesland im September wählt, sieht Mitterlehner nicht als Lösung. Insgesamt kritisierte der Vizekanzler, dass in den letzten Landtagswahlkämpfen „teilweise frivol mit der Flüchtlingsfrage gespielt“ worden sei.

Dem Krieg in Syrien entkommen

Als Jihadisten das Camp Yarmouk bei Damaskus besetzten, musste Riyad G. (33) fliehen.

Sein Haus stand genau an der Front, immer wieder schlugen Geschosse ein. Jihadistische Gruppen wie der Islamische Staat (IS) und der al-Qaida-Ableger Jabat al-Nusrah waren in das Palästinenserlager Yarmouk in Syriens Hauptstadt Damaskus eingedrungen und lieferten sich Gefechte mit Regimetruppen. Dann standen sie vor der Tür von Riyad G., wollten ihn zwingen, für sie zu kämpfen. Es war klar: Er konnte nicht bleiben. Es ist nicht die erste Flucht in der Geschichte seiner Familie. Sein Großvater musste 1948 Haifa im heutigen Israel verlassen. Riyad G. wurde 1981 bereits im palästinensischen Flüchtlingscamp Yarmouk geboren.

Am 15. Juli 2014 machte er sich auf den Weg. Zunächst schlug er sich in die Türkei durch. Auf einem Boot ging es dann nach Griechenland; von dort meist zu Fuß über Mazedonien nach Serbien und Ungarn. „Wir schliefen am Tag und marschierten in der Nacht“, erzählt Riyad. Schließlich versuchte er, mit dem Zug nach Belgien zu gelangen, wo Verwandte leben, doch er wurde am 16. September von österreichischen Polizisten aufgegriffen. Mittlerweile ist G. in Österreich ein anerkannter Flüchtling und konnte seine Frau und seine beiden Kinder nachholen. „Ich möchte ein neues Leben beginnen“, sagt er. „Ein Leben in Frieden und Sicherheit.“

"Die Flucht war gefährlicher als der Krieg"

Als 14-Jähriger flüchtete Ahmad A. allein vor dem Krieg aus Afghanistan und landete in Österreich.

Hätte er gewusst, wie strapaziös und gefährlich seine Reise von Afghanistan nach Österreich sein würde, hätte Ahmad A. vor drei Jahren seine Heimat (zwei Autostunden von Kabul entfernt) nicht verlassen. Trotz des Krieges dort. „Die Reise war viel gefährlicher als das Leben in Afghanistan“, betont der 17-Jährige, der in der Caritas-Wohngemeinschaft Nuri für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wohnt und auf seinen Asylbescheid wartet.

Seine Flucht nach Österreich führte ihn über Pakistan, den Iran und die Türkei nach Europa. „In der Türkei wurden wir in einen Lkw gesteckt, als wir ausgestiegen sind, waren wir in Wien“, erzählt der Gymnasiast. „Der ursprüngliche Plan war, nach Schweden zu gelangen.“ An den Grenzen zum Iran und zu Pakistan habe er mehrfach erlebt, wie Leute von Grenzbeamten erschossen wurden. „Oder wie Menschen auf dem Weg durch die Wüste verdurstet sind. Wir mussten immer wieder Erschöpfte zurücklassen.“ 10.000 Dollar bezahlte er an Schlepper. „Meine Familie hat Geld von Verwandten geliehen und alles verkauft, was wir besaßen“, sagt er. „Das Geld hat nur für die Flucht von mir gereicht, meine Eltern und die beiden Geschwister sind immer noch in Afghanistan.“ Sollte sein Bescheid positiv ausfallen, will Ahmad A. später Soziologie studieren und in Österreich bleiben.

10.000 Dollar an Schlepper und Helfer

Sechs Länder musste Sherugha S. durchqueren, um von Afghanistan nach Österreich zu gelangen.

Um von Afghanistan (Jalalabad) nach Österreich zu gelangen, musste Sherugha S. vor dreieinhalb Jahren fünf Länder durchqueren – Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland und Italien. Das Ziel war von Anfang an Wien. „Eigentlich wollte ich nach London, aber meine Familie hat mich davon überzeugt, dass Österreich die bessere Destination ist“, sagt der 17-Jährige. Rund 10.000 Dollar musste er für seine viermonatige Reise an Schlepper bezahlen.

Da sein Bruder zu klein war und die Flucht für seine Schwestern zu gefährlich gewesen wäre, wurde er von seiner Familie auserwählt, um das Land zu verlassen – der Grund waren die bewaffneten Konflikte in Afghanistan. Sherugha S. ist subsidiär schutzberechtigt, bewohnt eine Wohngemeinschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Wien und besucht die vierte Klasse eines Gymnasiums.

Sein Traumberuf ist Polizist. „Um den Menschen zu helfen“, wie er sagt. „Ich habe sogar schon vorgesprochen, aber da ich keine österreichische Staatsbürgerschaft habe, wird das nicht so leicht werden.“ In Österreich Freunde zu finden sei kein Problem gewesen. „Ich bekomme sogar oft Besuch in meiner WG, wir essen und feiern dann gemeinsam.“ Anlässe zu feiern gebe es genug – Geburtstage etwa oder positive Asylbescheide für Freunde.

Zwei Tage auf einem viel zu kleinen Boot

Babucarr S. aus Gambia kam als Bootsflüchtling in Italien an. Zwölf Monate dauerte seine Reise.

Nicht weniger als zwölf Monate war Babucarr S. aus Gambia unterwegs, bevor er in Wien ankam. Seine Reise führte ihn im vergangenen Jahr über Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen und Italien nach Österreich. Als Grund für seine Flucht gibt der 18-Jährige, der noch auf seinen Asylbescheid wartet, Konflikte mit der muslimischen Regierung und seiner Familie an – welcher Art diese Probleme waren, will er nicht verraten. Derzeit lebt er in einer betreuten Wohngemeinschaft in Wien und absolviert Vorbereitungskurse, für den Herbst hat er einen Fixplatz in einer Hauptschule.

Das Gefährlichste an seiner Flucht sei die zweitägige Bootsfahrt von Libyen nach Sizilien gewesen. „Wir waren 100 bis 110 Leute in einem viel zu kleinen Boot“, erzählt er. In Italien habe er sechs Monate verbracht – ohne die geringste Beschäftigung. „Hier kann ich wenigstens in die Schule gehen und mich ablenken“, sagt der 18-Jährige. „Zudem habe ich in Italien sehr viel Rassismus erlebt. Das ist in Österreich anders. Falls ich hierbleiben darf, wäre das eine große Chance für mich.“ Sollte es mit seinem Berufswunsch Schweißer etwas werden, kann er sich vorstellen, irgendwann nach Afrika zurückzukehren – wenn auch nicht in seine Heimat Gambia, aus der er flüchten musste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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