"Wenn man die Möglichkeit hat, ein Etikett zu finden, dann wird sehr schnell und 'erfreut' darauf zugegriffen", sagt Medienpsychologe Peter Vitouch.
Nach der Tragödie in Graz sind in sozialen Netzwerken und Onlineforen neben Äußerungen der Fassungslosigkeit auch teils ausländerfeindliche Kommentare bis hin zu Spekulationen um einen islamistischen Hintergrund aufgetaucht. "Wenn man die Möglichkeit hat, ein Etikett zu finden, dann wird sehr schnell und 'erfreut' darauf zugegriffen", erklärte der Medienpsychologe Peter Vitouch.
Zwei Aspekte treffen hier laut dem Wiener Kommunikationswissenschafter zusammen: "Das Ereignis betrifft die Allgemeinheit stark und zeigt die Hilflosigkeit auf, da es für ein solches keine Voraussagbarkeit gibt. Es löst daher Ängste aus, die mit einer emotionalen Erregung einhergehen", erläuterte Vitouch im Gespräch mit der APA.
Um mit der eigenen Hilflosigkeit umzugehen, greifen dann einige Menschen zum Werkzeug der Etikettierung, etwa in dem man sich dann auf Foren derart äußert, dass derartige Handlungen für Menschen einer bestimmten Herkunft typisch wären. "Wir versuche alle, eine sehr komplexe Welt wieder einfach zu machen, aber die Erklärungen sind manchmal derart vereinfachend, dass sie zu Vorurteilen führen", ob diese nun Migranten, Arbeitslose oder andere Gruppen betreffen.
Strategien des Einzelnen, Ängste zu bewältigen
Das Internet biete dann als wesentlichen Punkt die Möglichkeit, sich umgehend und bevorzugt auf emotionale Weise zu äußern. "Würde man sich stattdessen informieren und die Möglichkeit einer kognitiven Verarbeitung nutzen, könnte man auf gewisse Äußerungen verzichten", sagte Vitouch. Grundsätzlich geht es um die Strategien des Einzelnen, mit denen er seine Ängste bewältigt, führte der Medienpsychologe aus. Wem es an Ambiguitätstoleranz mangle, also der Fähigkeit, widersprüchliche oder vieldeutige Situationen zu ertragen, der tendiere dann zu Schwarz-Weiß-Stereotypen - unabhängig davon, wo man politisch stehe: "es kann in beide Richtungen los gehen."
Das Internet selbst treffe daran keine Schuld, das sei weder gut noch böse, sondern habe eben Vor- und Nachteile. Dessen kommunikationstechnischen Möglichkeiten hieven das, was früher beim Stammtisch oder in der Bassena auf ähnlichem Niveau diskutiert wurde, in den virtuellen Bereich, der wiederum auch von Extremisten genutzt werden kann. Die Anonymität erleichtert es manchem User, sich aufs "Untergriffigste und Bösartigste" zu äußern, fasste der Kommunikationswissenschafter zusammen.
In Summe schaffe dies oft "unschöne Diskussionen", auf deren Konsum Vitouch selbst inzwischen verzichtet - und er rät der eigenen psychosozialen Hygiene zuliebe und "um sich den Tag nicht zu verderben" auch anderen Internetusern zu dieser Maßnahme.
(APA)