Graz: Behörden prüfen Kontakte des Amokfahrers

Trauer in der Grazer Innenstadt
Trauer in der Grazer InnenstadtAPA/ERWIN SCHERIAU
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Über Interpol recherchiert die Polizei das Umfeld des Täters. Auch der Verfassungsschutz versucht, das Leben des 26-Jährigen zu rekonstruieren. „Nur um religiöse Hintergründe für die Tat auch sicher ausschließen zu können.“

Wien/Graz. Die Frage, warum Alen R. am Samstag sein Auto als Waffe benutzte, durch die Grazer Innenstadt raste, dabei drei Menschen tötete und 36 weitere verletzte, bleibt unbeantwortet. Die einzige Person, die das beantworten kann – Alen R. selbst –, sagt dazu nämlich nichts. Zumindest nichts Verwertbares. Staatsanwälte, Kriminalpolizisten und beigezogene Psychiater haben es inzwischen mit dem 26-Jährigen versucht. Erfolglos.

Um vielleicht auf anderem Weg zu Antworten zu kommen, durchleuchten die Behörden nun Kontakte, Bekanntschaften und Beziehungen des zweifachen Vaters in Bosnien. R. war vier Jahre alt, als er mit seinen Eltern aus dem vom Krieg zerrütteten Land nach Österreich floh. Seit damals lebt er in Kalsdorf bei Graz in einer Einfamilienhaussiedlung, ist längst Österreicher. Via Interpol wird nun versucht, über R.s Verbindungen in sein Geburtsland mehr über ihn zu erfahren. Vielleicht auch etwas über sein Motiv. Bisher ist bekannt, dass er Ende Mai wegen Gewalttätigkeit gegen seine Frau von der Polizei aus dem gemeinsamen Haus verwiesen wurde. Aber war die nun schon mehrere Wochen zurückliegende Maßnahme wirklich der Auslöser?

Aufgeladene Atmosphäre

Die Exekutive übt sich mit ihrer Kommunikation in einer Gratwanderung. Einerseits schloss man bereits wenige Stunden nach der Tat einen religiös oder weltanschaulich motivierten Hintergrund aus. Andererseits – das wurde der „Presse“ bestätigt – interessiert sich auch der Verfassungsschutz für Alen R. Ganz offensichtlich gibt es Behauptungen von Zeugen, die bei R. zumindest eine Zuwendung zu einer strengeren Auslegung des Islam beobachtet haben wollen. Konkretes liege nicht vor, heißt es in der Landespolizeidirektion, „aber wir gehen dem nach, um es ausschließen zu können“. In den Führungskreisen weiß man ganz genau, dass viele Bürger der raschen Zurückweisung der Islamismus-Theorie misstrauen. Zahlreiche entsprechende Meldungen in den Foren von Onlinemedien oder in sozialen Netzwerken sind ein starkes Zeichen dafür.

Wie schwierig die öffentliche Aufarbeitung ohne Vorverurteilungen unter den gegebenen Rahmenbedingungen offenbar ist (Geburt in Bosnien, Naheverhältnis zum Islam), zeigen auch zwei prominente Beispiele. So schaffte es die Grazer Tragödie bis in ein Internetmedium des konservativen amerikanischen Thinktank-Betreibers David Horowitz. Das Frontpage-Mag schrieb dazu am Sonntag: „Der Muslim, der Österreicher überfuhr und auf sie einstach, war Jihadistenfan.“ Basis für die Aussage ist das Facebook-Profil eines „Namensgleichen aus Österreich“. Was das Magazin nicht schreibt: Geburtsstadt (Wien) und Wohnort (Skopje) passen nicht zu Alen R. aus Graz.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache äußerste sich am Montag erneut zum Fall. Er war zuvor für ein Facebook-Posting („Ein religiös begründetes Attentat wird nicht ausgeschlossen!“) kritisiert worden. Nun relativierte er. Möglicherweise habe er damit „vorschnell“ Medienberichte der „Kronen Zeitung“ weiterverbreitet.

APA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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