Von Ibsen lernen

Buben und junge Männer werden in Österreich diskriminiert.

Die EU sagt jeder Diskriminierung den Kampf an. Soeben haben sich 360 von 785 Abgeordneten gegen die Benachteiligung von Menschen ausgesprochen, die alt, krank, behindert, homo- oder transsexuell sind oder einer bestimmten Religion angehören. Kommt es zur Diskriminierung, kann man zu Gericht gehen und Schadenersatz fordern. Dieser Vorstoß ist löblich. Er bringt das Licht der Aufklärung in einen Bereich, in dem es noch zu viele Schatten gibt. Auch in Österreich werden Menschen diskriminiert, und zwar mit größter Selbstverständlichkeit. Eine große Bevölkerungsgruppe sogar: die der Buben und jungen Männer.

Die Fakten sind eindeutig: Buben sind in der Schule benachteiligt. Sie erhalten für gleiche Leistungen schlechtere Noten. Sie werden überproportional häufig in Sondereinrichtungen abgeschoben. Sie maturieren seit Jahren signifikant weniger häufig, als es ihrer Geschlechterquote entspräche. All das geschieht unter staatlicher Aufsicht in einem Schulalltag, der von Frauen dominiert wird. Und als ob die Buben nicht schon genug zurückgesetzt wären, werden sie nach der Matura noch zum Bundesheer oder Zivildienst eingezogen, während die gleichaltrigen Mädchen sofort zu studieren beginnen. Das hat zur Folge, dass in allen 46 Staaten (einzige Ausnahme: Türkei), die sich zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulwesens bekannt haben, die Mehrheit der Studienanfänger weiblich ist. An all das hat man sich in Europa gewöhnt. In ganz Europa? Nein.

In Norwegen, seit Ibsens Tagen ein Vorreiterland für Frauenfragen, denkt man anders. Dort werden per Gesetz die Aufsichtsratssitze der börsennotierten Unternehmen zwischen Männern und Frauen aufgeteilt. Umgekehrt aber, wird auch eine geschlechtsneutrale Militärdienstpflicht gefordert. Ab nächstem Jahr soll die Musterung für beide Geschlechter obligatorisch sein.

Wer glaubt, dass diese Gesetzesinitiative von einem „Male Chauvinist“ oder einem „testosterongesteuerten Phallokraten“ stammt, irrt. Es ist eine Dame, die diesen Vorstoß gewagt hat. Diese Dame ist norwegische Verteidigungsministerin. Sozialdemokratin ist sie auch noch. Käme hierzulande jemand auf die tollkühne Idee, sie zu einem Parteitag einzuladen, könnte sie erzählen, dass in ihrem Land 62% der Männer und 55% der Frauen die geschlechtsneutrale Wehrpflicht favorisieren und bei den unter 25-Jährigen gar 72% dafür sind. In Norwegen.

In Österreich ist die Geschlechterdiskussion stecken geblieben: Man bekämpft Männerbastionen, und zwar völlig zu Recht, aber die Männerbastionen Militär und Zivildienst sollen bleiben. Und statt über die Benachteiligung der Buben in der Schule und beim Studieneintritt zu reden, diskutieren wir über das Binnen-I. „Das ist das Verdammte an den kleinen Verhältnissen“, schreibt Ibsen einmal, „dass sie die Seele klein machen.“ Österreich kann er damit nicht gemeint haben.

Kurt Scholz war langjähriger Wr. Stadtschulratspräsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2009)

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