Amokfahrt: Zwischen Anklage und Einweisung

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„Er hat sich verfolgt gefühlt.“ Dies teilten Behörden über den Amokfahrer von Graz mit. Ob der Mann eine Mordanklage bekommt, ist offen, auch eine Anstaltseinweisung ist möglich.

Graz/Wien. Der 26-jährige Amokfahrer, der am Samstag in der Grazer Innenstadt drei Personen getötet und 36 zum Teil lebensbedrohlich verletzt hat, wurde auch am Dienstag weiter einvernommen. Konkrete Motive habe Alen R. laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz, Christian Kroschl, bisher nicht genannt. Der Täter habe zuletzt nur „vage Antworten“ gegeben. Er habe jedoch gesagt, dass er sich verfolgt gefühlt habe. Von welchen Personen, sei aber nicht zum Ausdruck gekommen.

Dies gab Kroschl bei einer Pressekonferenz an. Ebendort erklärte Rene Kornberger vom Landeskriminalamt Steiermark, dass eine Frau, die sich unter den drei Todesopfern befindet, noch immer nicht identifiziert worden sei. Das Alter der unbekannten Toten werde auf 25 bis 35 Jahre geschätzt. Bei den anderen beiden Todesopfern handelt es sich, wie berichtet, um einen 28-jährigen Mann und einen vierjährigen Buben.

Gewehr plus Besitzkarte

Bestätigt wurde aktuell auch, dass Alen R. – legal – ein Gewehr hatte, welches beschlagnahmt worden sei. Für diese Waffe habe R. eine Waffenbesitzkarte besessen. Dieser Umstand könnte noch interessant werden. Denn derzeit versucht ein bei den Einvernahmen anwesender Psychiater herauszufinden, ob der Täter zurechnungsfähig ist oder nicht. Immerhin muss es in Sachen Waffenbesitz ein psychologisches Gutachten geben, das „positiv“ ausgefallen ist, sonst wäre die Anschaffung des Gewehrs nicht genehmigt worden.

Hinweise dafür, dass die Amokfahrt religiöse oder terroristische Motive hatte, gibt es laut Behörden weiterhin nicht. Kroschl: „Er bekennt sich zwar zum islamischen Glauben, ist aber nicht besonders religiös erzogen worden.“ Bestätigt wurde auch ein Vorfall, wonach die Ehefrau des Täters von diesem gedrängt worden sei, ein Kopftuch zu tragen. Die Frau habe sich aber geweigert, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Bei ihrer Befragung habe die Frau jedenfalls versichert, dass ihr keinerlei Ankündigung der Amokfahrt vorgelegen sein. Nun müssen nach und nach um die 150 Zeugen befragt werden. Weiters warten 30 bis 35 Aufnahmen von diversen Videokameras der Grazer Innenstadt sowie diverse private Handyfotos auf Auswertung. Indessen wurde R. Dienstagnachmittag in Graz in U-Haft genommen. Dies entschied der Haftrichter nach einem Verhör.

Anklagebehörde muss prüfen

Die nächsten Schritte: Die Staatsanwaltschaft muss prüfen, ob sie Anklage erhebt oder sich für die Verhängung einer vorbeugenden Maßnahme – eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher – ausspricht. Wie könnte die Anklage ausfallen? Nimmt man an, dass R. vorsätzlich mit etwa hundert Stundenkilometern auf Passanten zugerast ist, kann dementsprechend Tötungsvorsatz vermutet werden. So hatte der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) erklärt: „Er hat mich und andere anvisiert.“ In dem Fall wäre eine Mordanklage zu erwarten.

Kommt ein gerichtlich beauftragter Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Verdächtige bei Tatbegehung nicht zurechnungsfähig war, so würde der Betreffende (sofern die ihm zugerechnete Tat mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist) in eine Anstalt eingewiesen werden. Diese Einweisung wäre zeitlich unbefristet. Sie würde dann enden, wenn der Betreffende als geheilt gilt.

Weiters besteht die Möglichkeit, sowohl eine Strafe (konkret wohl wegen eines Tötungsdelikts) als auch eine Einweisung zu verhängen. In dem Fall würde der Mann vorerst in eine Anstalt, danach – je nach Strafausmaß – in Haft kommen. Diese zweispurige Reaktion käme in Betracht, wenn man meint, die Amokfahrt sei unter Einfluss höhergradiger geistiger „Abartigkeit“, wie es im Strafgesetzbuch heißt, getätigt worden – wenn man den Täter aber deshalb nicht generell als unzurechnungsfähig sieht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2015)

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