Von Gralla bis Charleston: Der Feldzug der weißen Rassisten

Was ist ein Amoklauf? Was ist ein Terrorattentat? Die Unterscheidung ist gar nicht so schwer. Aber die Erkenntnis daraus ist nicht immer angenehm.

Amoklauf. Attentat. Terrorismus. Anschlag. Inmitten von Schock und Schmerz spielen Worte keine Rolle. Bei all jenen zumindest, die in der Nähe des Grazer Tatorts waren, die in diesen Tagen um ihre Liebsten trauern, um ihre Verletzten zittern oder mit dem Schrecken davongekommen sind.

Für alle anderen sind Worte jedoch wichtig. Richtige Worte helfen, schreckliche Ereignisse einordnen und mittelfristig bewältigen zu können. Umgekehrt erzeugen falsche Worte Verwirrung und Angst. So geschehen durch Heinz-Christian Strache und durch die „Kronenzeitung“, die es in der Sonntagsausgabe schaffte, in ihren Bericht über die Grazer Amokfahrt, bar jeden Zusammenhangs, die Worte „islamistisch“, „Terrorkrieger“, „Dschihadisten“ „9/11“ und „Schläfer“ einzuflechten. Nun ist zwar klar, dass weder FPÖ noch „Kronenzeitung“ an Aufklärung interessiert sind. Versuchen wir es dennoch.

Amoklauf leitet sich vom malaiischen Aamuk her, das „wütend, rasend“ bedeutet. Amokläufe sind Verbrechen, die in der Persönlichkeit des Täters wurzeln, meistens haben sie mit paranoiden Wahnvorstellungen zu tun oder mit Rachegelüsten nach vermeintlichen Kränkungen. Deswegen sind die Schauplätze häufig Schulen (Winnenden, Sandy Hook), Gerichtsgebäude (im Schweizer Kanton Zug), der ehemalige Arbeitsplatz oder die eigene Familie und Nachbarschaft.

Amokläufer sind per definitionem Einzeltäter. Einige Gemeinsamkeiten mit Terroristen haben sie: Ihr Verbrechen ist auf maximale Zerstörungswirkung angelegt, es findet öffentlich statt, die Auswahl der Opfer erfolgt zufällig; und der Täter nimmt seinen eigenen Tod in Kauf.

Der wesentliche Unterschied jedoch ist: Terrorismus weist über den individuellen Täter hinaus. Er hat einen ideologischen Überbau, der Täter versteht sich als Soldat einer größeren, übergeordneten kriegerischen Auseinandersetzung, die sich gern als „Widerstand“ tarnt. Terror ist eine „systematische Kampagne von Gewalt gegen zivile Ziele“, lautet eine gängige Definition – mit dem Zweck, Chaos zu erzeugen oder bestimmte Reaktionen von Staaten zu erzwingen. Terroristen früherer Generationen (von der RAF über die PLO bis hin zur ersten al-Qaida-Generation) mussten dafür noch konspirieren, trainieren, Terrorziele aussuchen, Attentate planen und Bekennerbriefe formulieren. Heute, da Ideologien wie auch Anleitungen zum Bombenbauen online ausgetauscht werden, kann sich jeder Täter, wo immer er will, einfach selbst in den Kampf einreihen.

Zwei große terroristische Feldzüge sind es, die derzeit global stattfinden. Erstens jener der islamistischen Fundamentalisten gegen die angebliche „kapitalistisch-jüdisch-amerikanische Weltherrschaft“, gegen „Ungläubige“, Demokratie, Aufklärung und westliche Freiheiten. Die Anschlagsziele sind entsprechend vielfältig: Einkaufszentren, jüdische Einrichtungen, Touristen, Medien, Hotels, Schulen und Universitäten (als Horte westlicher Bildung) bis hin zu Verkehrsknoten westlicher Metropolen.

Der zweite Feldzug ist jener, den weiße Rassisten seit Jahren gegen die angebliche „Überfremdung“ und „Vermischung der Völker“ führen. Hier zieht sich eine blutige Spur von Attentaten, samt ideologischem Überbau, vom Ku-Klux-Klan über den Bombenanschlag von Oklahoma City über Anders Breivik in Norwegen bis hin zur Emmanuel African Methodist Church in Charleston, wo vergangene Woche neun schwarze Amerikaner bei der Bibelstunde niedergemäht wurden. Und auch Franz Fuchs aus Gralla samt seiner „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ ließe sich in diesen Gesinnungsbogen einreihen.

Der Terrorfeldzug der Islamisten wird seit Jahren als solcher benannt und als solcher bekämpft. Beim Terrorfeldzug der weißen Rassisten hingegen scheint es uns weitaus schwerer zu fallen, das richtige Wort zu verwenden. Da ist es doch immer wieder bequemer, in die Diagnose vom „verwirrten, psychisch gestörten Einzeltäter“ auszuweichen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2015)

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