Konjunktur. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise wächst die Wirtschaft in Österreich langsamer als in der Schweiz. Davor war es umgekehrt.
Für viele, die mit der EU-Mitgliedschaft Österreichs hadern, ist sie das leuchtende Vorbild in Sachen Wohlstand und Unabhängigkeit – die Rede ist von der Schweiz. Gemäß der europaskeptischen Interpretation der jüngeren Geschichte habe Brüssel Österreich mit seinen Verordnungen und Richtlinien daran gehindert, sein konjunkturelles Potenzial voll zu entfalten. Doch die augenscheinliche Gemeinsamkeit der geografischen Lage kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich die Volkswirtschaften der beiden Länder nicht wirklich miteinander vergleichen lassen – und das nicht allein aufgrund der Tatsache, dass Österreich über keinen nennenswerten Hersteller von Uhren verfügt.
Zäsur im Jahr 2008
Wer die Wachstumszahlen Österreichs und der Schweiz miteinander vergleicht, stößt sofort auf eine Differenz – die jüngste Finanzkrise fungiert nämlich als eine Art Zäsur. Während die österreichische Wirtschaft seit dem EU-Beitritt 1995 bis zum Ausbruch der großen Krise 2008 im Schnitt etwas schneller gewachsen ist als das Schweizer BIP, verhält es sich seither genau umgekehrt. 2014 hat sich die Wirtschaftsleistung der Schweiz um zwei Prozent erhöht, das österreichische BIP-Plus belief sich hingegen auf 0,3 Prozent. 2013 waren es 1,9 zu 0,2 Prozent. Dieses Jahr fällt die Differenz zwar geringer aus, bleibt aber sichtbar: Brüssel prognostiziert Österreich für 2015 ein BIP-Wachstum von 0,8 Prozent, während die Schweiz um 1,2 Prozent wachsen soll.
Was erklärt die bessere österreichische Performance vor dem Ausbruch der Krise? Von der Anbindung an die EU hat die österreichische Wirtschaft in zweierlei Hinsicht profitiert. Erstens, weil die heimischen Betriebe durch den EU-Beitritt stärker als je zuvor von der Position als vorgelagerte Werkbank der Konjunkturlokomotive Deutschland profitieren konnten. Und zweitens, weil Österreich sehr früh auf die Expansion in Mittel- und Osteuropa gesetzt hatte und in der Folge von der EU-Osterweiterung 2004 profitieren konnte. Diese zwei Faktoren sorgten sozusagen für eine Sonderdividende, während sich für die Schweiz im Laufe der 1990er-Jahre keine neuen europäischen Märkte erschlossen haben.
Aus der österreichischen Perspektive hat diese Entwicklung aber auch eine Schattenseite: Als (Ost-)Europa nach 2008 in die Krise rutschte, war man hierzulande deutlich stärker davon betroffen. Und an dieser Stelle kommt ein weiterer Unterschied ins Spiel: Die österreichische Wirtschaftslandschaft ist durch Klein- und Mittelbetriebe geprägt, die Schweiz hingegen verfügt über Konzerne von Weltrang: Nestlé, Novartis, Credit Suisse. Diese fungieren nicht als Zulieferer, sondern haben sich im Alleingang Anteile auf dem Weltmarkt erobert – nach der EU zählen die USA und China zu den wichtigsten Absatzmärkten der Schweizer Exporteure. Eine regionale Krise kann ihnen also weit weniger anhaben als den Österreichern – die obendrein auf Russland und die Ukraine gesetzt hatten und nun von der veränderten geostrategischen Lage voll betroffen sind.
Der Franken als Nachteil
Einen Vorteil gegenüber der Schweiz stellt hingegen die österreichische Mitgliedschaft in der Eurozone dar – angesichts der anhaltenden Eurokrise mag dies zwar paradox erscheinen, doch Österreich hat (wie auch Deutschland) von der Einheitswährung profitiert. Gäbe es den Euro nicht, wären Schilling und D-Mark deutlich stärker. Und das hätte zur Folge, dass die österreichischen und deutschen Exporteure gegenüber der Konkurrenz aus Italien und Frankreich im Nachteil gewesen wären. So aber konnten weder die Franzosen noch die Italiener ihre Exporte mit schwachem Franc und schwacher Lira dopen. Welche Folgen eine Hartwährung mit sich bringt, lässt sich momentan anhand der Schweiz beobachten, die den Kampf gegen die Aufwertung des Schweizer Franken offiziell aufgegeben hat. Gegenüber dem Euro ist dieser eklatant überbewertet, der Urlaub in den Schweizer Alpen hat sich massiv verteuert – wovon der österreichische Fremdenverkehr profitiert. Dass die Schweizer Wirtschaft 2015 und 2016 unterdurchschnittlich wachsen wird, hängt laut Experten unmittelbar mit dem Franken zusammen.
Dringender Reformbedarf
Auf längere Sicht könnte sich der extraharte Franken allerdings als Vorteil erweisen – denn eine starke Währung erzwingt im Normalfall Strukturreformen, ohne die die Wettbewerbsfähigkeit leiden würde. Ohnehin gilt die Schweiz als einer der wettbewerbsfähigsten Standorte weltweit – im aktuellen Ranking des Lausanner Instituts für Managemententwicklung (IMD) belegt sie als bestes europäisches Land Rang vier hinter den USA, Hongkong und Singapur. Österreich hingegen fällt im jährlichen IMD-Ranking kontinuierlich zurück und belegt momentan den 26. von insgesamt 61 Plätzen.
Grund für das schlechte Abschneiden Österreichs ist das Ausbleiben von dringend notwendigen Reformen im Pensions- und Bildungsbereich, Verbesserungsbedarf gibt es demnach auch bei der Verwaltungsreform und der Budgetkonsolidierung. Positiv hervorgehoben wird hingegen die Wechselkursstabilität – also noch ein Vorteil des viel geschmähten Euro.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)