„Die Schweizer haben sich die Rosinen herausgepickt“

Ökonom Fritz Breuss
Ökonom Fritz BreussBruckberger
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Dass sich Großbritannien nach dem EU-Austritt zu einer zweiten Schweiz entwickeln könnte, hält Volkswirt Fritz Breuss für Wunschdenken – und die politisch-ökonomische Struktur der Eidgenossenschaft für einzigartig.

Die Presse: Europa-Skeptiker in Österreich verweisen immer wieder auf die Schweiz als positives Beispiel für Wohlstand außerhalb der EU. Lassen sich die beiden Länder miteinander vergleichen?

Fritz Breuss: Im Unterschied zu Österreich verfügt die Schweiz über Großkonzerne, Pharmariesen und Banken. Diese Unternehmen waren schon immer internationaler ausgerichtet und global präsent. Österreich ist klein- und mittelbetrieblich strukturiert und stärker auf die Nachbarn in der EU angewiesen, während die Schweiz einen viel größeren Exportradius hat und weniger abhängig vom EU-Binnenmarkt ist als wir.


Dass sich Österreich außerhalb der EU zu einer zweiten Schweiz entwickeln würde, ist also reines Wunschdenken.

Es sei denn, wir würden uns sehr anstrengen und multinationale Konzerne auf die Beine stellen. Aber solange wir sie nicht haben, sind wir sehr stark vom Binnenmarkt abhängig. Auch für die Schweiz ist die EU das wichtigste Exportziel, rund 58 Prozent der Schweizer Exporte gehen dorthin. Bei den Importen sind es übrigens 72 Prozent, die Abhängigkeit von Importen aus der EU ist also höher als die Exportabhängigkeit.


Wie gut bzw. schlecht käme die Schweiz ohne den europäischen Binnenmarkt aus?

Die Schweiz ist nach wie vor Mitglied der europäischen Freihandelszone Efta und hat dadurch im Warenverkehr freien Zugang zum EU-Binnenmarkt. Weiter gehender Zugang wird über zwei bilaterale Abkommen mit der EU geregelt. Wären die Bilateralen gekündigt, würde immer noch das Freihandelsabkommen gelten. Würde dieses auch wegfallen, kämen die Schweizer damit besser zurecht als Österreich in einer vergleichbaren Lage – weil unser Exportradius hauptsächlich Europa umfasst.


In welchem Umfang beruht der Schweizer Wohlstand auf der Integration mit der EU?

Es hat dazu diverse Studien mit verschiedenen Ergebnissen gegeben, genau lässt sich das nicht beziffern. Meines Erachtens hat die EU-Integration nicht sehr viel gebracht. Sie ist auf jeden Fall wichtig, aber die Schweiz kann sich mit Drittmärkten auch gut über Wasser halten. Die Überschüsse in der Leistungsbilanz verzeichneten die Schweizer schon vor zig Jahren, bevor es die Bilateralen gegeben hat.


Wäre es für die Schweiz überhaupt sinnvoll, der EU beizutreten? Man könnte ja genauso gut argumentieren, dass die Schweizer derzeit das Beste aus beiden Welten haben – den Zugang zum EU-Binnenmarkt und geldpolitische Autonomie.

Das stimmt, die Schweizer haben sich die Rosinen herausgepickt. Sie sind in der Position, die Großbritannien gern hätte: Sie nehmen am Binnenmarkt teil, lassen sich aber nichts gesetzlich vorschreiben und müssen nicht ins EU-Budget einzahlen. Ich glaube, in London blickt man mit großer Begeisterung auf die Schweiz.


Wobei die Schweiz ja anno dazumal einen EU-Beitrittsantrag gestellt hatte . . .

Der aber seither auf Eis liegt und nicht weiterverfolgt wird, weil ein Beitritt politisch nicht umsetzbar ist. Das größte Problem in dem Zusammenhang ist übrigens das Primat der EU-Gesetzgebung. Die Schweiz hat eine sehr starke direkte Demokratie, diese Tradition wäre dann völlig ausgehöhlt, durch die europäischen Verordnungen und Richtlinien, die in den Brüsseler Räten gemacht werden.


Kann es überhaupt so etwas wie eine zweite Schweiz geben?

Nein, die Schweizer Konstellation ist einzigartig. Die Briten beispielsweise haben keine Tradition der direkten Demokratie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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