Die Franken-Falle: Wilde Stürme im sicheren Hafen

Die Schweizer Nationalbank
Die Schweizer NationalbankAPA/EPA/PETER KLAUNZER
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Währungspolitik. Lang sah es so aus, als käme der Franken harmonisch mit dem mächtigen Euro aus. Doch dann kamen die Schuldenkrise und der Mindestkurs. Durch dessen spektakuläres Ende bleibt kein Stein auf dem anderen.

Die Deutschschweizer nennen ihre Währung „Stutz“. Niemand weiß wirklich, warum. Die Herkunft des seltsamen Dialektwortes ist von Legenden umrankt – wie auch die Rolle des Franken als „sicherer Hafen“ für verängstigte Anleger aus aller Welt. Aber dieses Image ist gut begründet: Seit dem Ende des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse erwies sich die helvetische Währung als ein Bollwerk. Wenn Länder ringsum in Turbulenzen gerieten und abwerten mussten, gewann der Franken dazu. Des Anlegers Freud war des Schweizer Exporteurs Leid: Die Schübe an Aufwertungen verteuerten seine Waren.

Als dann der Euro Wirklichkeit wurde, sahen viele Schweizer schlimme Zeiten anbrechen: noch stärkere Aufwertungen, keine monetäre Autonomie mehr – oder gar das Ende des „Stutz“: Der Euro könnte zur Parallelwährung werden und den Franken verdrängen. Nichts von alldem geschah in den Jugendjahren der europäischen Einheitswährung. Vor allem blieb die Insel im Euromeer von einem Ansturm fliehenden Kapitals verschont. Die neue Währung erschien so robust wie die alte D-Mark. Die Akteure auf dem Finanzmarkt schöpften Vertrauen. Die Schweizer Nationalbank SNB konnte ihre Geldpolitik unbehindert gestalten. Eine Abhängigkeit aber ließ sich nicht vermeiden: Die Schweiz ist eine sehr offene Volkswirtschaft, umzingelt von einem riesigen Binnenmarkt. 60 Prozent der Exporte gehen in den Euroraum, 70 Prozent der Importe kommen von dort. Und weil eine Währung am Ende doch nur Abbild der realen Verhältnisse ist, war es abzusehen, dass die Schweizer ihre unsichtbaren Ketten irgendwann zu spüren bekämen.

Ein rigoroses Mittel

Der Zeitpunkt kam mit Mai 2010, dem Ausbruch der Euro-Schuldenkrise. Die Finanzwelt zitterte vor einem Auseinanderbrechen des Währungsraumes. Damit floss wieder viel Kapital in den sicheren Hafen. Immer stärker wurde der Franken nachgefragt. Bis August 2011 stieg sein Wert um 30 Prozent. Die SNB versuchte anfangs, des Ansturms mit den üblichen Waffen Herr zu werden: Sie senkte den Leitzins und kaufte ausländische Wertpapiere, um den Franken zu schwächen. Bis sie im September 2011 zum rigorosesten Mittel griff: Sie gab kund, dass sie keinen Kurs unter 1,20 Franken pro Euro mehr tolerieren werde. Diese Grenze verteidige sie durch unlimitierte Devisenkäufe – koste es, was es wolle.

Anfangs schien das leichter als gedacht. Denn die Krise flaute ab, der Euro erstarkte gegenüber dem Dollar. Doch die Ruhe war trügerisch: Dahinter stand eine andere Zusicherung – die von EZB-Chef Draghi, den Euro auf jeden Fall zu retten, zur Not durch unbegrenzten Aufkauf von Staatsanleihen. Lang war das nur eine Beruhigungspille, die Zentralbank in Frankfurt kaufte kein einziges Papier. Im vorigen Herbst aber zeichnete sich immer stärker ab, dass Draghi – aus Angst vor einer Deflation – bald ernst machen und große Mengen an neuem Geld in den Markt pumpen würde.

Der Euro stand wie weich gespült da, verfiel gegenüber dem Dollar – und war damit als Referenzwährung für den grundsoliden Franken zunehmend ungeeignet. Die Devisenhändler „testeten“ die Kursbarriere, Bern hielt tapfer dagegen. Anfang 2015 verging kein Tag mehr ohne massive Interventionen der SNB. Wäre es so weitergegangen, hätte sie ihre Bilanz aufblähen und viel mehr Franken auf den Markt bringen müssen, als sie geldpolitisch verantworten konnte.

Geheimaktion Reißleine

Am 15. Jänner 2015 um 10 Uhr vormittags zog Thomas Jordan die Reißleine. Der SNB-Präsident überrumpelte die Finanzwelt mit der Mitteilung, dass der Mindestkurs ab sofort aufgehoben sei. Binnen Minuten stürzte die Kurve ins Bodenlose – ein Zeichen dafür, wie künstlich die Grenze war. Seitdem hat sich der Kurs knapp über der Parität (ein Franken = ein Euro) eingependelt. Die natürlichen Verhältnisse sind wieder hergestellt.

Aber der Preis ist hoch: Die Industrie trifft der harte Franken hart. Ausländische Touristen bleiben aus. Auch Privatschuldner in ganz Europa, die wegen eines Zins- und Kursvorteils ihren Kredit in Franken aufgenommen hatten, stöhnen unter der gestiegenen Last, die manche gar nicht tragen können. Sogar die SNB selbst leidet unter ihrer Kühnheit: Weil sie Berge an Devisen im Depot abwerten muss, schreibt sie Rekordverluste.

Aber bei allem Heulen und Zähneklappern: Den Schweizern ist ihre Unabhängigkeit fast jedes Opfer wert. Einst wappneten sie sich gegen die Habsburger, heute gegen Brüssel und Frankfurt. Doch die Welt ist eine ganz andere geworden: mit offenen Grenzen, freiem Handel und zahllosen wechselseitigen Abhängigkeiten. Ob es die Opfer auch heute noch lohnt, wird die Geschichte weisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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