Anders als Österreich ist es der Schweiz gelungen, den Großteil des Transitverkehrs auf die Schiene zu verlagern.
Brüssel. Aus der österreichischen Perspektive betrachtet ist die Schweiz auch beim Thema Transitverkehrs eine Insel der Seligen. Anders als hierzulande, wo die Übergangsregelungen für den Transit längst abgelaufen sind, hat sich die Schweiz in den bilateralen Verhandlungen mit der EU in den 1990er-Jahren einige Sonderregelungen ausbedungen. Die wohl wichtigste betrifft die Höhe der Lkw-Maut: Die Fahrt von Basel im Norden nach Chiasso im Süden der Eidgenossenschaft (sie gilt als maximale Referenzstrecke für Transitfahrten) kostet für einen 40 Tonnen schweren Lastkraftwagen 325 Franken – was momentan 313 Euro entspricht und deutlich über dem österreichischen Mautniveau liegt. Die Konsequenz: Geschätzte zwei Drittel des Güterverkehrs werden in der Schweiz auf der Schiene abgewickelt. Und noch einen Unterschied gibt es zu Österreich: In der Schweiz gilt die Lkw-Maut, die seit 2001 eingehoben wird und auf einem satellitengestützten System basiert, für alle Straßen – nicht nur für die Schnellverbindungen.
Weg von der Straße
Diese Fokussierung war der geografischen Notwendigkeit geschuldet, denn die Schweiz war seit jeher ein Nadelöhr im Güterverkehr zwischen Nord- und Südeuropa. 2013 wurden nach Angaben des Schweizer Bundesamts für Verkehr (BAV) auf Straße und Schiene insgesamt rund 38 Millionen Nettotonnen befördert. Zum Vergleich: 1981 ist es noch weniger als die Hälfte gewesen. Knapp 25 Millionen Tonnen wurden im Schienenverkehr transportiert, der Rest auf Straßen. In Österreich verhält es sich genau umgekehrt: Hierzulande wurden 2013 rund 30 Millionen Tonnen von Lkw befördert und lediglich elf Millionen Tonnen auf der Schiene – was mit den vergleichsweise günstigen Mautgebühren unmittelbar zusammenhängen dürfte.
Begünstigt wurde der Trend in der Schweiz durch die sogenannte Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT), die integraler Bestandteil des Transitabkommens mit der EU aus dem Jahr 1992 ist. An einem Hauptelement wird derzeit noch gearbeitet: am Gotthard-Basistunnel, der voraussichtlich Ende 2016 in Betrieb gehen soll. Mit 57 Kilometern wird er der längste Eisenbahntunnel der Welt sein und eine jährliche Gütertransportleistung von maximal 40 Millionen Tonnen haben. Mit der Inbetriebnahme dürfte sich der Lkw-Anteil am Transitverkehr weiter verringern.
Handel mit Transitrechten
Neben der Tiefbauingenieurskunst wollen die Schweizer aber auch das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage einbeziehen, um den Verkehr zu regeln – denn alle Prognosen weisen auf eine weitere Intensivierung des Transitverkehrs hin. Eine Überlegung, die seit zehn Jahren gewälzt wird, ist die sogenannte Alpentransitbörse. Die Idee ähnelt einerseits dem Prinzip des Handels mit Emissionszertifikaten – nur dass mit Alpentransitrechten statt mit Verschmutzungsrechten gehandelt werden soll – und andererseits dem Management der Starts und Landungen auf einem Flughafen. Der Plan sieht nämlich vor, den Preis der Transit-Slots nach Tageszeit und Verkehrsaufkommen zu staffeln. Soll heißen: Wer bereit ist, dem Stoßverkehr auszuweichen, soll weniger berappen.
Nach Ansicht des Schweizer Verkehrsministeriums wäre die Transitbörse ohne größere Probleme technisch umsetzbar. Die Frage ist allerdings, ob die politische Bereitschaft vorhanden ist. Aus der Perspektive von Transitländern wie der Schweiz oder Österreich wäre das System reizvoll, weil es (ähnlich wie bei den Emissionen) auf eine künstliche Verknappung abzielt. Genau deswegen dürfte es in Nord- und Südeuropa auf wenig Zustimmung stoßen.(ag./la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)