Vereinbarkeit von Neutralität und EU-Sicherheitspolitik heikel

Nationalfeiertag am Heldenplatz
Nationalfeiertag am HeldenplatzAPA/HERBERT NEUBAUER
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Der völkerrechtliche Status der „immerwährenden Neutralität“ hat sich durch die Teilnahme an der Gasp verändert.

Wien. „Keine Teilnahme an Kriegen, kein Beitritt zu einem Militärbündnis und keine Stationierung ausländischer Truppen in Österreich.“ So fasste Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) die Kernelemente des österreichischen Neutralitätsgesetzes vom 26. Oktober 1955 zusammen. Und er sah keine Differenz zur EU.

Dass eine Mitgliedschaft im Europäischen Staatenbund trotz der in der heimischen Verfassung festgelegten „immerwährenden Neutralität“ überhaupt möglich ist, war aber nicht immer so selbstverständlich wie heute: Als im Jahr 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet wurde, konnte Österreich wegen seines Status als neutrales Land nicht daran teilnehmen.

1989 schließlich wurde im Nationalrat der Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft (EG) beschlossen – jedoch unter der Voraussetzung, dass auch bei einer vollen Integration in die Staatengemeinschaft an der Neutralität festgehalten werden soll. Nicht überall wurde dieser Grundsatz gutgeheißen: Der damalige Kommissionspräsident, der französische Sozialist Jaques Delors, mahnte eindringlich, die österreichische Neutralität sei ein großes Problem; es werde für die Republik kein „Menü à la carte“ in der EG geben.

So weit kam es bekanntermaßen auch nicht – wenngleich die Neutralitätsdebatte vor dem Beitrittsreferendum im Jahr 1994 besonders von EU-Gegnern angeheizt worden war.

Die Große Koalition bekannte sich schließlich „vollinhaltlich zu den Zielsetzungen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp) der Europäischen Union“ – was als vereinbar mit der Neutralität galt und im Grunde bis zum heutigen Tage gilt.

Vetorecht in Außenpolitik

Möglich war das auch durch das in der Union geltende Einstimmigkeitsprinzip in allen außenpolitischen Fragen: Jedes Land hat ein Vetorecht, gemeinsame Einsätze auf EU-Ebene sind nicht bindend. In der österreichischen Sicherheitsdoktrin, die im Jahr 2001 vom Nationalrat angenommen wurde, wird jedoch festgehalten, dass der völkerrechtliche Status der immerwährenden Neutralität sich durch die Mitwirkung an der Gasp durchaus verändert habe: Österreich ist demzufolge im internationalen Vergleich nicht mehr neutral, sondern vielmehr „allianzfrei“. Das Credo, keinen militärischen Bündnissen beizutreten, bleibt also bestehen.

Eine grundlegende Änderung bedeutete vor allem das Hinzufügen des Artikels 23f im Bundesverfassungsgesetz. Dieser besagt u. a., dass Österreich sich an Maßnahmen beteiligen kann, „mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt, vollständig eingestellt oder eingeschränkt werden“ – wie das zuletzt mit Russland der Fall war.

Petersberg Missionen

Mit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam im Juni 1999 wurde die Gasp schließlich um die sogenannten Petersberg Missionen erweitert, die die rechtliche Basis für einen EU-Einsatz der Battle Groups sind. Diese sehen neben humanitären Aufgaben, Rettungseinsätzen und friedenserhaltenden Maßnahmen auch die Möglichkeit für Kampfeinsätze, einschließlich friedensschaffender Maßnahmen, vor. Politisch bleibt die Auslegung des Mandats weiter umstritten, vor allem, wenn für einen geplanten Einsatz kein UNO-Mandat vorläge. Im Normalfall sollen die Battle Groups aber über einen entsprechenden Auftrag der Vereinten Nationen verfügen.

In Österreich trägt Artikel 23f auch dieser Situation Rechnung. Dieser bietet trotz Neutralitätsgesetz die Möglichkeit zur Teilnahme an „friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen“ im Sinne besagter Petersberg Missionen. (aga/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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