Wien muss zu Fuß gehen lernen

Bronwen Thornton (rechts) war auf Einladung von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou für einen Lokalaugenschein in Wien.
Bronwen Thornton (rechts) war auf Einladung von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou für einen Lokalaugenschein in Wien.C. Fürthner/PID
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Ideen für Wien. Die australische Fußgängerexpertin Thornton plädiert für fußgängerfreundliche Bedingungen auch in Randgebieten – und nicht nur bei Vorzeigeprojekten à la Mariahilfer Straße.

Wien. „Zu Fuß zu gehen ist mehr, als von A nach B zu kommen. Es ist ein Lebensstil. Wie man in einer Metropole zu Fuß unterwegs sein kann, sagt viel über eine Stadt aus: wie sie funktioniert, wie die Menschen leben, konsumieren und einander begegnen“, sagt Bronwen Thornton, während sie mit kritischem Blick durch Wien Mariahilf spaziert.

Die australische Soziologin gehört zu den gefragtesten Fußgängerexperten der Welt und ist Organisatorin der bedeutendsten Fachkonferenz zu Gehen, Lebensqualität und Stadtentwicklung. Die Walk 21 wird dieses Jahr von 20. bis 23. Oktober in Wien tagen – als Höhepunkt des Jahres des Zufußgehens, das von der Stadt im Wahljahr 2015 ausgerufen wurde.

Nicht nur Großprojekte

„Ich kenne Wien als Touristin, will die Stadt aber vor der Konferenz noch genauer inspizieren“, sagt Thornton. „Und dabei will ich mir nicht nur die Vorzeigeprojekte anschauen.“ Für die Bewusstseinsbildung und Identitätsstiftung seien solche Großprojekte zwar sehr wichtig, man dürfe aber die kleinen in Wohn- und Randgebieten nicht vergessen, wenn man das Zufußgehen attraktiver machen wolle. „Das lässt die Politik gern aus. Man kann sich mit ein paar abgeflachten Gehsteigkanten, guter Ampelschaltung oder einer Sitzbank eben nicht so gut schmücken.“

Es gehe aber um genau diese Verbesserungen, die alltägliche Wege erleichtern und somit die Lebensqualität erhöhen. „Für die Politiker ist das Thema unsexy, sie glauben, wenig damit gewinnen zu können. Es ist zu alltäglich, jeder macht es, da gibt es kaum eine spezielle Zielgruppe.“ Es gebe viel Lobbying für Autofahrer und Radfahrer – aber nur wenig für Fußgänger. „Das kommt erst langsam. In immer mehr Städten entdecken es die Parteien für sich.“

Derzeit werden in Wien rund 26 Prozent der Wege zu Fuß zurückgelegt, 39 Prozent mit dem öffentlichen Verkehr, 27 Prozent mit dem Auto, sieben Prozent mit dem Rad und ein Prozent mit dem Motorrad. Im internationalen Vergleich mit Städten mit über einer Million Einwohnern wird in Wien recht viel gegangen. Einen höheren Anteil an Fußgängern hat etwa New York mit 39, London mit 30 und Hamburg mit 28 Prozent. „Wien ist gut dabei, und ich sehe, dass es den Willen gibt, mehr zu tun – aber es gibt Luft nach oben.“

Bei Grün auch diagonal queren

Kritisch sieht sie die Schaltung der Ampeln: „Bei einer Kreuzung mit vier Ampeln sollte es möglich sein, bei Grün auch diagonal zu queren. Sonst muss man lang warten, und das nervt“, sagt sie etwa in der Operngasse Ecke Schleifmühlgasse. „Diese Straße ist überhaupt nicht gut. Das ist für alle gefährlich und unangenehm.“ Die Autofahrer müssten beim Abbiegen auf die Radfahrer aufpassen und umgekehrt – „und die Fußgänger sind irgendwo dazwischen, haben nicht wirklich Platz“.

Und noch eine Gruppe kommt beim ersten Lokalaugenschein von Neubau nach Wieden ihrer Meinung nach zu kurz: „Es gibt zu wenig Möglichkeiten für Kinder zu spielen. Wo ist ihr Platz hier in dieser Stadt?“ Als Positivbeispiel führt sie Stuttgart an. Dort gebe es allerorts kleine Möglichkeiten, sich auszutoben – oft seien Gegenstände Kunst und Spielgerät gleichzeitig. „Gerade in Einkaufsmeilen ist das eine tolle Idee. Wenn etwa die Eltern vom Shoppen müde sind und kurz sitzen wollen, haben die Kinder Beschäftigung.“

Es sei wichtig, dass Verkehrsflächen als Platz für alle wahrgenommen werden, es laufe aber oft auf den Kampf „Autofahrer gegen alle anderen“ hinaus. „Das ist ein Blödsinn, darum geht es gar nicht.“ Sie selbst sei leidenschaftliche Autofahrerin: „Ich habe vier Kinder, natürlich brauche ich ein Auto.“ Es komme darauf an, unterschiedliche Verkehrsmittel je nach Bedarf zu nutzen.

Zudem sollten Verkehrsflächen so gestaltet werden, dass sie von allen Gruppen benutzt werden können. Wenn Menschen viel und gern draußen unterwegs sind, belebe das die Stadt und nehme die Angst vor Fremden. „Wir Menschen sind Rudeltiere. Wenn wir zu lang isoliert sind, weil wir zum Beispiel immer nur allein im Auto von A nach B fahren, werden wir recht wunderlich.“

Zur Person

Bronwen Thornton ist Soziologin und lebt in Australien. Sie kämpft für die Förderung des Fußgängerverkehrs und ist Direktorin der Walk 21.

Walk 21. Die Fachkonferenz rund um Gehen, Lebensqualität und Stadtentwicklung tagt von 20. bis 23. Oktober im Wiener Rathaus. 230 Experten aus 39 Ländern werden bei 240 Seminaren, Workshops und Diskussionen teilnehmen. www.walk21vienna.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 9. Juli 2015)

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