So manche Gegend im zwölften Bezirk hat den schlechten Ruf abgelegt – unter anderem rund um den Meidlinger Markt. Aber es gibt auch noch die absoluten Problemzonen, unter anderem wegen einer lebendigen Drogenszene.
Wien. Wenn man sich vom Süden her auf der A2 der Bundeshauptstadt nähert, sind bereits aus der Ferne die Wolkenkratzer auf dem Wienerberg zu erkennen. Bei Inzersdorf, die Autobahn ist längst schon vierspurig, muss der Ankommende eine Entscheidung treffen. Links zum Altmannsdorfer Ast oder rechts zur Triester Straße? Die einen landen tendenziell eher in Favoriten, die anderen via Grünen Berg mitten in Meidling. Wir haben uns vor 15 Jahren für links entschieden und sind im relativ grünen Tivoliviertel des zwölften Wiener Gemeindebezirks gelandet. Schönbrunn ist nur wenige Gehminuten entfernt. Und vom Wienerwald her weht ständig frischer Wind. Es ist eine inzwischen gefragte Gegend, wie die Entwicklung der Immobilienpreise zeigt.
Viele Burgenländer, Steirer und Kärntner, die noch unschlüssig sind, wie lang ihr Aufenthalt hier in Wien sein sollte, die zumindest am Anfang gern noch für das Wochenende nach Hause pendeln, bleiben in den südlichen Randbezirken hängen. Vom Wienerberg aus, der Generationen von Ziegelarbeitern Beschäftigung geboten hat, sieht man die Berge im Süden. Reine Nostalgie. Fast noch fühlt man sich hier noch daheim. Transdanubien? Nein, danke! Denn Wien, das glauben solche Zuzügler lange noch, das ist doch nur etwas fürs Arbeiten. Später dann, in der großen Freizeit, wird es hoffentlich die Südsteiermark sein. Oder die kroatische Küste. Oder gar eine ionische Insel.
Fuhrwerke und verbotene Glühbirnen
Inzwischen ist der Bezirk für uns weit mehr als das Klischee vom rauen Arbeiterbezirk. Sankt Meidling, das sind viele Dörfer, brutale und feine, laute und stille, rasant sich ändernde und auch solche, die im Biedermeier verharren. Täglich hören wir gegen Abend vor unserem Haus Fiakerkutschen vorbeifahren. Ums Eck gibt es noch funktionierende Fuhrwerker-Häuser. Und auch kleine Geschäfte, die beharrlich alte Glühlampen verkaufen, die von der EU an sich bereits verboten sind, oder Beiseln, die anmuten, als sei die Zeit stehen geblieben.
Doch Meidling ist auch dynamisch. Die Wachstumsschmerzen einer Großstadt zeigen sich an der Peripherie. Mit weniger Aufsehen als in der Mariahilfer Straße wird hier in der Hauptstraße, die vom Meidlinger Platzl hinauf zum Bahnhof führt, die Fußgängerzone erneuert. An Wochenenden und wenn Markttag ist wird die Zone mediterran, maghrebinisch, osteuropäisch, asiatisch. Und turbokapitalistisch. Keine Saison vergeht, in der nicht ein neues Café, eine Backstube oder ein Ein-Euro-Laden eröffnet. Nur das alte Knopfgeschäft, die Trafiken, die exzellente italienische Eisdiele ganz unten an der Meidlinger Hauptstraße, die Taschner und die Uhrmacher sind Konstanten, die Wettbüros sind dagegen im Schwinden. Stattdessen gibt es jetzt vermehrt Geschäfte mit Wasserpfeifen.
Der zwölfte Wiener Gemeindebezirk hat auch seine absoluten Problemzonen. Die Drogenszene verlagert sich von der U-Bahnstation Längenfeldgasse über die Gierstergasse zum Kreisverkehr an der Aßmayergasse. Je näher am Gürtel, desto wilder werden die Grätzel. Das wird die FPÖ opportunistisch nutzen, die bereits bei den Bezirkswahlen 2010 kräftig gewonnen hat.
An der U-Bahnstation Meidlinger Hauptstraße ist immer Aktion. Gleich neben dem U4, dem Club, der in den Achtzigerjahren seine Hochblüte hatte, soll demnächst mit dem Bau eines 60 Meter hohen Hochhauses begonnen werden. Das Areal ist bereits platt gemacht, ein umstrittenes Objekt auf den ehemaligen Komet-Gründen, gegen das vor allem die Grünen Sturm gelaufen sind. So ein Turm mit rund 50.000 Quadratmetern Nutzfläche zieht nicht nur das Geschäft, sondern auch den Verkehr an – Bezirksvorsteherin Gabriele Votava von der SPÖ, die seit zwölf Jahren im Amt ist, befürwortet solche Großbauten. Widerstand, und zwar mit Erfolg, gab es gegen ein geplantes Hotel an der Marillenalm, direkt am Grünen Berg, wo der Verkehr stetig in die Stadt fließt. Auch die Gegner eines anderen Projekts sind entschlossen: Kleingärtner rebellieren, weil an der Grenze zu Liesing in Hetzendorf ein Areal dicht verbaut werden soll, mit 1100 Wohnungen. Die Anrainer befürchten eine ähnliche ghettoisierende Entwicklung wie am Schöpfwerk eine Generation zuvor. Der Kinofilm „Muttertag“ hat diese kleinbürgerlichen Ängste 1992 sarkastisch aufgenommen.
Am Rande wächst Meidling am heftigsten, etwa beim Kabelwerk, einer Großsiedlung, die zugleich mit Kultur versehen wurde. Das Theaterprojekt Werk X an der Oswaldgasse wirkt aber bei all der gutwilligen Intention noch immer wie ein Fremdkörper, an der Schnittstelle zwischen Wohnsilos und der Idylle des fast noch dörflichen Altmannsdorf. Es ist kaum anzunehmen, dass sich Kulturpolitiker außer zur Eröffnung dorthin verirren, nach Meidling mit seinen unsichtbaren kroatischen, steirischen, tschetschenischen, serbischen, Kärntner, anatolischen, Tiroler und neuerdings syrischen Dörfern.
Wo aber ist Meidling für mich authentisch? Am Markt natürlich, der so wie die Fußgängerzone und der Bahnhof kürzlich erneuert wurde. Der Verein „Wir sind 12!“ sorgt sogar für ein kleines Kulturprogramm. Die Standler ganz hinten sind aus dem Burgenland oder dem Waldviertel, daneben gibt es eine Art Heurigen. Vorn dominiert die Türkei, dazwischen der Balkan. Im Osten des Gevierts sorgen seit drei Jahren trendige Lokale wie Milchbart, das Asylwerber beschäftigt, für Belebung. So international wie hier im Herzen von Meidling fühle ich mich sonst nur in London, Istanbul oder New York.

Serie: Wiens Bezirke
Bis zur Wien-Wahl am 11. Oktober porträtiert die ''Presse'' nach und nach alle 23 Wiener Bezirke. Die bisherigen Porträts finden sie unter diepresse.com/bezirke
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10. Juli 2015)