NSA: Abhöraffäre ist für Merkel eine Nebensache

(c) Bloomberg (Krisztian Bocsi)
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Die Enthüllung über NSA-Spionage lässt Berlin kalt. Dabei wird das Kanzleramt seit Jahrzehnten systematisch belauscht.

Wien/Berlin. Als ein Abgeordneter des NSA-Untersuchungsausschusses in der Vorwoche in Berlin Angela Merkels früheren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla mit der Tatsache konfrontierte, dass sein Name bisher auf keiner Abhörliste aufscheine, antwortete Pofalla trocken: „Kommt schon noch.“ Er sollte recht behalten. Unter Berufung auf die Enthüllungsplattform WikiLeaks deckte das Recherche-Netzwerk aus „Süddeutscher Zeitung“, WDR und NDR jetzt nämlich auf, dass die NSA nicht nur jahrelang systematisch Ministerien in ihr Visier genommen hatte, sondern über Jahrzehnte auch das Kanzleramt – zurückgehend zumindest bis Helmut Kohl.

In den Protokollen finden sich neben der früheren Handynummer der deutschen Kanzlerin die Telefonnummern wichtiger Merkel-Vertrauter – von CDU-Fraktionschef Volker Kauder bis zu Beate Baumann, der Büroleiterin der Kanzlerin.

Achselzucken und galliger Humor

Große Empörung löst die jüngste Enthüllungsserie über die Spionageaktivitäten des US-Geheimdiensts NSA in Berlin längst nicht mehr aus. Die Kanzlerin selbst hat momentan Besseres zu tun. Die Griechenland-Krise hat Merkel voll in Beschlag genommen, die Abhöraffäre ist dagegen lediglich eine Nebenfront. Sie hält die Telefonüberwachung der Geheimdienste im Übrigen für reine Zeit- und Geldverschwendung. Seit ihrem Ausspruch „Abhören unter Freunden geht gar nicht“, einem raren emotionalen Ausbruch, hält sie sich in der Causa bedeckt – zumal ihr die Verwicklung des deutschen Bundesnachrichtendiensts in die Geheimdienstaffäre, dessen Kooperation mit der NSA, bisher in den Meinungsumfragen nicht geschadet hat.

Die betroffenen Minister tun die Berichte inzwischen mit einer Mischung aus Achselzucken und galligem Humor ab. Als „absurdes Theater“ qualifizierte Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel die Abhöraktion. Seine Parteifreundin, die Umweltministerin Barbara Hendricks, reagierte mit ironischer Gelassenheit: „Wenigstens war ich den Amerikanern wichtig genug.“ Die Zeitungslektüre würde den Geheimdiensten viel an Aufwand ersparen, argumentierte ein Ex-Minister. Für John Emerson, den US-Botschafter in Deutschland, sind die Vorladungen ins Außenministerium und Kanzleramt mittlerweile eher eine lästige Routinesache. Dass Angela Merkel bereits vor drei Jahren erwogen hatte, Griechenland aus der Eurozone zu komplimentieren, wie aus einem Telefonat mit Frankreichs damals neu gewähltem Präsidenten, François Hollande, hervorgeht, ist zwar keine Sensation, aber vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung doch eine interessante Position. Dass sich Nicolas Sarkozy, Hollandes Vorgänger, am Zenit der globalen Finanzkrise 2008 als großer Retter stilisierte, passt indes zu seinem Selbstbild.

Überraschend sind nicht so sehr die Inhalte der WikiLeaks-Dokumente, sondern vielmehr die jüngsten Aktivitäten der durch das politische Asyl ihres Gründers Julian Assange gefesselten Enthüllungsplattform. Die Veröffentlichung von rund 60.000 Memos des saudischen Außenministeriums brachten die Scheichs in die Bredouille, die Enthüllungen über die Ausspähung der französischen Präsidenten sollten die Beziehungen zwischen Paris und Washington nachhaltig trüben.

Seit Assange vor drei Jahren in der Botschaft Ecuadors in London Zuflucht suchte – aus Angst vor einer Auslieferung an Schweden wegen eines Sexualdelikts –, ist sein Aktionsradius massiv eingeschränkt. Prompt nutzte er die Berichte über die US-Spionage im ?lysée-Palast, um in Paris um politisches Asyl anzusuchen. Nur Frankreich sei dazu in der Lage, appellierte er in einem offenen Brief in der Zeitung „Le Monde“. Sollte Paris den Kopf in den Sand stecken, wäre dies ein Signal für Länder wie China und Russland. Hollande ließ ihn freilich kühl abblitzen.

Derweil sorgt eine Handvoll Getreuer Assanges in Australien und in Berlin – darunter die britische Juristin Sarah Harrison und Aktivisten des „Chaos Computer Clubs“ – dafür, dass die WikiLeaks-Enthüllungen aus dem Datenschatz des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden nicht abreißen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2015)

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