Menschen sind keine Emissionszertifikate

Pragmatisch oder zynisch? Das Flüchtlingsdilemma macht es nötig, die Grenze dazwischen auszuloten.

Die Idee klingt gut. Sehr gut sogar. Österreich verschickt temporär 500 Asylwerber vom überlasteten Erstaufnahmezentrum Traiskirchen nach Gabčíkovo. Statt in Bussen – oder einmal heißen, einmal nassen Zelten – schlafen die Menschen künftig in einem Universitätsgebäude. Wie soll man das finden – außer gut und richtig?

Trotzdem fällt es nicht leicht, in den Applaus für die Innenministerin einzustimmen, weil sie bilateral schafft, woran die EU bisher scheitert. Denn auch wenn das europäische Asylbüro die Aktion lobt, bleibt ein Beigeschmack, ein seltsamer, leicht bitterer. Er speist sich aus mehreren Quellen: erstens dem Gefühl, dass mit so einer Konstruktion das Scheitern der internen Verteilung nun amtlich ist. Wer es nach den Zelten noch nicht wusste, weiß es jetzt: Es herrscht rot-weiß-rotes Chaos.

Zweitens irritiert das allzu große Lob von Johanna Mikl-Leitner für den Nachbarn. Der Deal mit der Slowakei sei „ein starkes Signal der Solidarität“. Wirklich? Man hat noch gut den slowakischen Premier, Robert Fico, im Ohr, der erst vor ein paar Tagen meinte: „Was hat die Slowakei mit dem zu tun, was in Libyen, dem Irak oder Syrien passiert? Gar nichts.“ So begründete Fico das Nein zu verpflichtenden EU-Flüchtlingsquoten. Schon bisher ist die Slowakei bekannt für eine restriktive Asylpolitik (schnelle Schubhaft, hohe Ablehnungsquote) und hat auch deshalb wenige Asylwerber. Dass so eine Politik zur heldenhaften Hilfsbereitschaft geadelt wird, mutet inkonsequent an. Goodwill-Nachbarschaftshilfe im Kleinen ersetzt Solidarität im Großen – soll das die Lösung sein?

Und was würden solche Deals langfristig bedeuten? Das ist die Kernfrage, schließlich haben hiesige Provisorien die Angewohnheit, zum Dauerzustand zu werden. Der wesentliche Satz ist dabei folgender von Mikl-Leitner: „Für Österreich ist das unter dem Strich billiger.“ Derzeit ist das so, weil man sich mit der Slowakei die Dienstleistungen (Betreuung, Sicherheit etc.) teilt. Langfristig könnte es aber auch anders, gewinnorientierter laufen. Wäre es nicht denkbar, dass Österreich routinemäßig einen Teil seiner Asylwerber im Ausland unterbringt, weil dort die Kosten generell niedriger sind, sprich der österreichische Tagsatz mehr wert ist? Der Nachbarstaat würde sich verhalten wie ein privater Quartiergeber, sagt Migrationsexperte Heinz Fassmann: Was abzüglich des Taschengelds für die Asylwerber übrig bliebe, sei Gewinn.

Der Gewinn für die Slowakei wäre in diesem Modell zwar nicht besonders groß, aber blickt man weiter in Richtung Rumänien oder Bulgarien und erhöht die Anzahl der „verschickten“ Asylwerber, könnte der Geldanreiz dazu führen, dass sich größere Flüchtlingslager bilden, während sich Staaten wie Österreich vom Überbelag freikaufen – zumindest für die Dauer des Asylverfahrens.

Wen das an den Handel mit Emissionszertifikaten erinnert, nach dessen Logik in jenen Staaten in den Klimaschutz investiert wird, für die es am günstigsten ist, der ist nicht allein. Und weil der Emmissionshandel prinzipiell funktioniert, könnte die Idee um sich greifen – auch innerhalb von Österreich: Nachdem Pflichtquoten für Bezirke gescheitert sind und einige Länder trotz Pflicht hinterherhinken, könnte man es ja nach dem Motto „Unterbringen oder zahlen“ probieren: Wenn Bundesland A sein Soll nicht erfüllt und die Asylwerber deshalb im Bundesland B untergebracht werden müssen, muss A B bezahlen. Vielleicht eine Einnahmequelle für Kärnten?

Sie merken, ab hier wird es zynisch. Und genau das ist der Punkt. In der Flüchtlingsfrage gilt es, die Grenzen des Pragmatismus auszuloten. Geld, das muss man anerkennen, ist ein mächtiger Hebel. Auch das punkto Zynismus unverdächtige Rote Kreuz hat bereits vorgeschlagen, einen Solidaritätsfonds zu gründen, in den auf Basis einer EU-Quote pro Land jene Länder, die zu wenige Asylwerber unterbringen, Ausgleichszahlungen an jene leisten, die mehr als ihren Anteil aufnehmen. Besser es funktioniert so als gar nicht. Trotzdem schadet es derzeit bei der Suche nach praktischen Lösungen nicht, sich zu erinnern: Menschen sind keine Emissionszertifikate.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2015)

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