Thrakien: Fern wie die Andromedagalaxie

Griechenland Urlaub
Griechenland Urlaub(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Ein abenteuerlich-archäologischer Roadtrip zwischen Xanthi, Thassos und den griechischen Rhodopen.

Westthrakien oder Ostmakedonien liegt dort, wo die Reiseführer sich gern in Schweigen hüllen. Fernab, weit weg von den Griechenlandklischees. Selbst von der aktuellen Krise ist wenig zu bemerken, was an den wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem benachbarten Bulgarien liegt. Die ideale Destination für Bird-Watcher, Betschwestern, Adrenalin-Junkies und Archäologie-Freaks.

Der Flughafen von Kavala ist so winzig, dass man die These vom Individualtourismus umgehend glaubt. Doch wer hier landet, der möchte seine Spuren auch nicht im Sand hinterlassen, sondern auf antikem Kopfsteinpflaster. Oder auf Saumpfaden, die hoch in die Rhodopen oder tief in die Flusslandschaft des Nestos-Deltas führen. Auf einer Fläche von mehr als 500 Quadratkilometern tummeln sich an die 300 Vogelarten, vom Flamingo über Reiherkolonien bis zu Zwergscharben. Und mit Glück und sehr viel Geduld bekommt man sogar Wölfe, Schakale oder Wildpferde vor die Linse. In jedem Fall aber trifft man auf Giorgios, Ilias, Helen und deren vierbeiniges Empfangskomitee, das einem schwanzwedelnd entgegentrabt. Aber zur Riverland-Crew nach Paranesti kommt man nicht, um Hunde zu streicheln oder Kaffee zu trinken – der von Iannis bereitete Cappuccino würde jeden italienischen Barista vor Neid erblassen lassen –, sondern um sich in dieser wildwüchsigen Natur einen Adrenalinschub oder einen nachhaltigen Muskelkater zu holen. Entspannt am Strand liegen jedenfalls nur die Einheimischen.

Die Fremden stecken in Neoprenanzügen und paddeln den Flusslauf entlang oder riskieren Kopf und Kragen beim Zip-Line. Zwischen mächtigen Erlen und urwaldartig bewachsenen Uferstreifen spannt sich ein Seil, dessen Verankerungen bei jeder Belastung knirschen und knarzen. Bereits nach wenigen Metern versteht man nicht nur die Helmpflicht, sondern auch die prekäre Lage der Nation. Stets an der Kippe, turbulent bis dramatisch, aber dennoch überraschend stabil. „Don't worry“, sagt Ilias und klopft den Zip-Linern beruhigend auf die Schulter, „everything will be okay.“ Ein frommer Wunsch, in den man gedanklich die gesamte Nation einschließen möchte.

Katalogisierte Penisse

„Wir haben alle Penisse hier katalogisiert“, erklärt Marianna stolz, während die Besucher der archäologischen Ausgrabungen von Aliki begeistert bis befremdet die Augen aufreißen. Tatsächlich weisen viele der steinernen Relikte aus dem siebenten Jahrhundert vor Christus phallische Züge auf, doch der Ausblick auf die traumhafte Badebucht direkt am Ausgrabungsareal verwässert etwaiges erotisches Gedankengut dann doch recht schnell. Die glasklaren, smaragdgrünen Strände an der Südostküste der kleinen Insel Thassos gelten nicht umsonst als Naturbadewanne, die fast überall aufragenden Zeugen aus der Antike wirken angesichts dieses fröhlichen Plätscherns eher wie stoische Badewaschl. Unbewegt, aber omnipräsent. Die 110 Kilometer lange Küstenstraße rund um die Insel bietet aber nicht nur pittoreske Perspektiven für kulturaffine Wasserratten, sondern auch architektonische Juwelen. So etwa das Nonnenkloster Monastiri Michail Archangelos bei Astris im Süden der Insel, das in schwindelerregender Höhe mit spektakulärem Blick aufs Meer und den gegenüberliegenden Berg Athos errichtet wurde und seit den 60er-Jahren wieder von 20 Nonnen bewirtschaftet wird. Zahlreiche, an den Springbrunnen der Anlage angebrachte Schilder „the water is not holy“ bewahren die dürstenden Pilger zuverlässig vor einem religiösen Stendhal-Syndrom.

Seinen Durst stillt man besser bei Georgios Fragioglou, der am Hafen von Limenas, dem Hauptort des 15.000-Einwohner-Eilands, eine Taverne betreibt. Zwölf Jahre schwang der Grieche im New Yorker Astoria das Küchenszepter, bis ihn die Sehnsucht nach Wasser, Wein und Geruhsamkeit zurück in die Heimat zog. Bei einem Gläschen Landwein Ismarikos aus den Rhodopen plaudert der Wirt auch gern und hilfreich gestikulierend aus seinem Leben, während sein Sohn Berge an gefüllten Weinblättern in Zitronensauce, krossem Pita und ungemein zarten, in Honig marinierten Oktopus aufträgt.

Eine lukullische Offenbarung, der – im Unterschied zur traditionellen griechischen Küche der südlicheren Inseln – jeder Anflug von Rosmarin oder Knoblauch fehlt. Was dem guten Geschmack und der noch besseren Laune aber keinen Abbruch tut. Im Vordergrund ankern die Fischerboote, im Hintergrund erklingt „ein Schiff wird kommen“ des griechischen Komponisten Manos Chatzidakis, der vor 90 Jahren im nahen Xanthí geboren wurde. Noch heute verstreut er seine „weißen Rosen aus Athen“ flächendeckend über den Nordosten des Landes.

Aber nur musikalisch, denn ansonst sind den ansässigen Thrakern und Pomaken die Hauptstadt und all ihre Regungen und Bestrebungen so fern wie die Andromedagalaxie.

ABENTEUER THRAKIEN

ANREISE

Wien–Kavala–Wien direkt u.a. mit Austrian myHoliday ab etwa 250Euro. austrian.com

SCHLAFEN

Hotel Imaret. Wohnen de luxe in einer ehemaligen Moschee, einzigartige Atmosphäre. Poulidou30, 65110 Kavala, +30/251/0620151, imaret.gr

Alexandra Beach Thassos Spa Resort,Potos, PO Box4, 64002 Thassos, Tel.: +30/25930-58000, Fax: +30/25950-51185, alexandrabeach.gr

NATURABENTEUER

Riverland,Toxotes Xanthi, mobile phone: +30/6973417189, riverland.gr


ESSEN

Taverna Mythos direkt am Hafen, Georgios Fragioglou, Thassos, 64004 Limenas

INFOS: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, Opernring8, 1010 Wien, (0)1/5125317, visitgreece.gr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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