"Oxi" - ein Wort mit tiefer Bedeutung

July 4 2015 Athens Greece Massive Pro Government and No Vote Oxi rally on Friday night in
July 4 2015 Athens Greece Massive Pro Government and No Vote Oxi rally on Friday night inimago/ZUMA Press
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Alexis Tsipras versteht es, mit der Geschichte die Griechen zu manipulieren.

„Oxi“ (ausgesprochen „Ochi“) stand auf den Pappkartons, die tausende Griechen auf dem Syntagma-Platz an den Tagen vor dem Referendum mit ausgestreckten Armen in die Höhe hielten. Und auf „Oxi!“ schwor auch Premierminister Alexis Tsipras das Volk in seinen Reden kurz vor ihrem Votum ein. „Am Sonntag werden wir nicht nur über den Verbleib in Europa entscheiden“, sagte er mit eindringlicher Stimme, „sondern, ob wir mit Würde in Europa bleiben“. Der pathetische Appell verfehlte seine manipulative Wirkung nicht.

Nur 24 Stunden später, als feststand, dass sich die überwältigende Mehrheit der Griechen tatsächlich gegen den Sparkurs der Geldgeber entschieden hatte, versammelten sich die Menschen wieder auf dem Platz der Verfassung, und wieder schrien sie „Oxi!, Oxi!“ – aus vollem Hals und von Freude überwältigt.

Ob ihre Wahl für Griechenland gut oder schlecht ist, wird erst die Zukunft weisen. Die Vergangenheit, davon scheinen die Griechen überzeugt, habe bewiesen, dass ihre „Oxi“ immer richtig gewesen sind. Und „Oxi“ bedeutet für die Griechen nicht bloß Nein. „Oxi“ bedeutet Widerstand. Widerstand gegen jeden Zwang, jede Einmischung von außen. Selbst dann, wenn Trotzen das Leben kosten kann. Freiheit ist alles.

Einmal im Jahr gedenken die Griechen an ihrem Nationalfeiertag eines ihrer historisch wichtigsten Neins. Am 28. Oktober feiern sie den „Oxi“-Tag. Der geschichtliche Hintergrund: Benito Mussolini forderte am 28. Oktober 1940 Griechenland auf, die Einrichtung von italienischen Militärstützpunkten „an strategisch wichtigen Punkten“ auf griechischem Boden zuzulassen.


Keine Angst vor Mussolini. Das widersprach der Strategie des griechischen Militär-Generals Ioannis Metaxas ganz und gar, war es ihm doch ein Anliegen, dass sich sein Land im Zweiten Weltkrieg neutral verhalten solle. Würde er der Aufforderung des Duce nachkommen, so seine Sorge, würde sich Griechenland selbst zum Handlanger Italiens degradieren und damit letztlich seine Besetzung durch Mussolini riskieren. Doch dieser hatte seine Nachricht nicht als Ersuchen, sondern als Befehl verstanden. Das machte er Metaxas auch deutlich: Eine Ablehnung würde ab 6:00 Uhr früh mit Krieg beantwortet werden, ließ er Metaxas über den italienischen Botschafter ausrichten. Der griechische Diktator zeigte sich von dieser Drohung unbeeindruckt. Er soll Mussolini, so die Überlieferung, mit einem einzigen Wort – „Oxi“– geantwortet haben.
Ein Nein mit Konsequenzen: Am 28. Oktober marschierten um 6 Uhr 30 italienische Truppen von Albanien aus in Nordgriechenland ein. Metaxas wandte sich in einer Radioansprache an das Volk: „Die Zeit ist für Griechenland gekommen, für seine Unabhängigkeit zu kämpfen. Griechen, nun kämpft für euer Vaterland, für eure Frauen, für eure Kinder und für die heiligen Traditionen. Nun, vor allen Dingen, kämpft!“ Das taten sie. Die Bevölkerung ging– unabhängig von ihrer eigenen politischen Haltung– auf die Straße und protestierte gegen den italienischen Einmarsch. Und der griechischen Armee gelang es, die Italiener auf albanisches Gebiet zurückzudrängen. Erst 1941, als die deutschen Truppen auf der Seite der Italiener eingriffen, konnten die Achsenmächte Griechenland während des Balkanfeldzugs besetzen.

Die Geschichte und die Emotionen der Griechen kennend, schockiert umso mehr, dass Tsipras nicht davor zurückscheute, mit dem bewussten Einsatz eines einzigen Wortes– „Oxi“– die jetzige Krise mit jener von 1940, also dem Beginn eines Krieg, zu assoziieren. Die Aussage eines Griechen am späten Abend des Referendums– „Ich bin stolz! Ich sterbe lieber als Grieche als in den Armen von Herrn Schäuble“– ist der traurige Beweis dafür.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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