Einsamkeit kann krank machen

Einsamkeit kann negative gesundheitliche Folgen haben.
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Schlafstörungen, Immunschwäche, Entzündungen, Angststörungen, Depressionen – all das kann entstehen, wenn man sich einsam und nicht gebraucht fühlt. Wichtig ist vor allem, sich die Einsamkeit bewusst zu machen.

Ich bin so allein, dass ich manchmal abends aus der Wohnung gehe und einfach in die Straßenbahn einsteige. Ich fahre dann planlos durch die Stadt, nur um die Stille zu Hause und die innere Leere nicht ertragen zu müssen. Alle haben jemanden, nur ich bin immer allein. Was ist bloß an mir verkehrt, dass ich so wenig liebenswert bin.“ Derlei Aussagen, so die Klinische Psychologin Sabine Standenat, höre sie von ihren Klienten immer wieder. „Einsamkeit ist ein großes Problem und Gegenstand zahlreicher Forschungen.“

Wissenschaftler warnen: Die gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit, die zur seelischen Not wächst, sind vergleichbar mit jenen des Rauchens, der Fettleibigkeit und des Bluthochdrucks. Einsamkeit macht krank, das steht fest. Eine Meta-Analyse, die 148 Untersuchungen mit insgesamt mehr als 300.000 Probanden zusammenfasste, zeichnet noch ein drastischeres Bild: Einsamkeit ist noch schädlicher als Übergewicht, wer sich einsam fühlt und keine stabile Beziehung hat, stirbt im Schnitt früher. Vice versa lebt, wer Freunde hat, länger – um bis zu 22 Prozent. Denn der Mensch hat ein fundamentales Bedürfnis nach sozialem Anschluss und emotionaler Bindung.

Freundschaftliche Kontakte tun daher auch unserem Gehirn gut und senken unter anderem das Risiko für Demenz und Schlaganfall. Ein feines soziales Netz mindert auch die Gefahr einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Dem gegenüber haben beispielsweise Single-Männer ein 2,9-fach höheres Risiko, innerhalb von zehn Jahren am Herzen zu erkranken, als Männer, die in einer guten Beziehung leben. Faktum ist: Einsamkeit kann das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten erhöhen.

„Einsamkeit ist ein nicht zu vernachlässigender chronischer Stressfaktor für Psyche und Seele“, weiß Ingeborg Pucher-Matzner, Psychologin und Psychotherapeutin am Institut für Medizinische Psychologie der Med-Uni Wien. „Daraus können auf Dauer alle möglichen Krankheiten resultieren.“ Schlafstörungen, Immunschwäche, häufigere Infekte und Entzündungen, Angststörungen, Depressionen, erhöhte Selbstmordgefahr sind nur einige der negativen Auswirkungen unfreiwilligen Alleinseins. Wiewohl: Einsamkeit kann man auch in der Gruppe verspüren, auch in einer Beziehung kann man sich unverstanden fühlen und einsam sein. Obwohl der andere vielleicht nur einen halben Meter daneben sitzt, friert man ob des unerfüllten Wunsches nach Nähe und Verständnis.

Wochenlang tot in der Wohnung

Isolation hingegen ist nach psychologischen Kriterien echter Kontaktmangel. Psychologen sprechen von Isolation, wenn jemand weniger als einmal die Woche Kontakt zu jemand anderem hat. Die zunehmende Isolation in der Jetztzeit hat sicher mit der Überalterung, der Verstädterung und der zunehmenden Schnelllebigkeit der Gesellschaft zu tun. Berichte von Pensionisten, die erst Wochen nach ihrem Tod aufgefunden werden, zeugen von dieser tiefgreifenden Isolation.

Umfragen zufolge fühlen sich besonders Jugendliche und dann wieder Menschen ab 80 Jahren einsam. Aber auch mit der Kündigung des 50-Jährigen, mit dem Umzug des Studenten in eine fremde Stadt, mit der Scheidung mit Mitte 30 kann die Wurzel von Einsamkeit gesetzt werden. Einer der versiertesten Einsamkeitsforscher der Welt, John Cacioppo, Psychologe an der University of Chicago weiß, dass dem Einsamen nicht nur die Menschen fehlen, sondern auch das Gefühl, von ihnen gebraucht, beachtet, anerkannt zu werden.

Innere Ursachen

„Einsamkeit kann auch innere Ursachen haben“, sagt Ingeborg Pucher-Matzner. Es kann mit übertriebener narzissistischer Selbstliebe genauso zusammenhängen wie mit zu geringer Selbstliebe, mit dem Gefühl, nicht liebenswert zu sein, überflüssig. Draußen findet die Welt statt, und man selbst gehört nicht mehr dazu. Das nährt die Angst, von anderen abgelehnt zu werden, und fördert die Selbstablehnung. Einsamkeitsgefühle führen nicht selten zu einem negativen Selbstbild. „Wer sich selbst nicht mag und zu wenig schätzt, braucht andere, um das Gefühl zu haben, liebenswert zu sein. Wer aber Anerkennung immer nur von außen sucht, hat ein ziemlich großes Risiko, in die Einsamkeitsspirale zu gelangen“, meint Majda Moser, Körpertherapeutin sowie Lebens- und Sozialberaterin.

In ihrem Buch „Zurück zur Freude“ beschreibt sie, wie Einsamkeit entsteht, zeigt die inneren Blockaden auf und weist Wege zurück zur Freude. Wenn der Weg aus der Einsamkeit zu lang nicht begangen wird, wird der Umgang mit anderen immer schwieriger. „Chronische Einsamkeit erstickt soziale Fähigkeiten“, warnt Moser. Endstation des Leidensweges sind dann Isolation, Krankheit, Schmerz.

Einsamkeit, der Verlust an Wärme und Nähe, tut weh – und der Schmerz ist keineswegs abstrakt. Er kann mittlerweile in Magnetresonanztomografien des Gehirns nachgewiesen werden und nachgewiesenermaßen auch den Blutdruck erhöhen.

„Die bewusste Beschäftigung mit Natur, Kultur, Sport oder Hobbys könnte ein Mosaikstein auf dem Weg aus der Einsamkeit sein“, meint Pucher-Matzner. Junge Mütter etwa, die die 24-Stunden-Betreuung des Nachwuchses um Kontakte mit Erwachsenen bringt, könnten diese in einer Mutter-Kind-Gruppe finden. Andere könnten Zuwendung und das Gefühl, gebraucht zu werden, dadurch bekommen, dass sie etwa in einem Tierheim regelmäßig einen Hund ausführen. Pucher-Matzner: „Man muss sich seine Einsamkeit bewusst machen und entsprechende Schritte setzen.“ Kleine Schritte wie etwa in ein Kaffeehaus gehen, Kontakte in einem Verein suchen, einen Kurs belegen, mit einem Studium beginnen. Auch täglich bewusst etwas für sich zu tun könnte die Tür aus dem Gefängnis der Einsamkeit ein wenig öffnen.

Wem dieser Schritt aus eigener Kraft nicht möglich ist, der könnte es mit professioneller Hilfe schaffen. „Psychotherapie oder psychologische Betreuung können sehr wohl aus der Einsamkeit herausführen“, weiß Pucher-Matzner.

Wertigkeit anerkennen

„Wer herausgefunden hat, was denn seiner Selbstliebe im Weg steht, hat große Chancen, sich selbst und seine Wertigkeit wieder anzuerkennen, wieder die Hauptrolle im eigenen Leben zu spielen“, sagt Majda Moser. „Wenn ich mir selbst mehr wert bin, habe ich zum einen eine andere Ausstrahlung, man geht eher auf mich zu. Und zum anderem traue ich mir selbst mehr zu und getraue mich eher, auf andere zuzugehen. Ein guter Weg aus der Einsamkeit.“

BUCH, HILFE

Ältere Menschen, die viel allein sind, erkranken doppelt so häufig an Alzheimer wie andere, die weniger unter Einsamkeit leiden.

Hilfe. Ab sofort bietet die Lebens- und Sozialberaterin Majda Moser jeden letzten Freitag im Monat eine Gruppe zum Thema Einsamkeit: „Mit Bioenergetik aus der Einsamkeit, Inputs und Werkzeuge für ein zufriedenes Leben“. www.bioenergetik.at.

Buchtipps: „Zurück zur Freude. Statt einsam wieder lebensfroh“, Majda Moser, Kneipp Verlag, 126 Seiten, 4,90 Euro.

„Einsamkeit überwinden. Sich geborgen, geliebt und verbunden fühlen“, Doris Wolf, Pal Verlag, 136 Seiten, 12,80 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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