Auf der Schokoladenseite New Yorks

Symbolbild Schokolade
Symbolbild SchokoladeMichaela Seidler
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Zwei Österreicherinnen widmen sich in ihren Zweitkarrieren den süßen Dingen des Lebens. Mit ihren hochwertigen Schokoladenkreationen wollen sie den Trend zu Schokolade als gesundem Powerfood mitprägen.

„Du bist unser American Dream.“ Das höre sie immer wieder von österreichischen Bekannten, sagt Schokoladenherstellerin Red Thalhammer. Sie sitzt in ihrem lichtdurchfluteten Arbeitsstudio im beschaulichen Brooklyner Stadtteil Greenpoint. Um sie herum liegen die bunten Tafeln ihrer international renommierten „Antidote“-Schokoladenlinie aufgefächert. Nach kurzem Überlegen ergänzt sie lachend: „Ich habe mich nie damit beschäftigt, aber vielleicht bin ich das wirklich.“

Red – ihren Vornamen Renate legte die gebürtige Oberösterreicherin kurz nach der Ankunft in Manhattan ab – kam 2000 während des Platzens der Dotcom-Blase nach New York. Trotz ihres fertigen Linzer Designstudiums und neun Jahren Arbeitserfahrung in der österreichischen Werbebranche hörte sie allerorts dasselbe: „Vor fünf Jahren hätte ich dich sofort eingestellt, aber heute...“ Damals war sie 28 und spezialisierte sich auf Verpackungsdesign. Sie arbeitete bald an Projekten für Starbucks und Pepsi. 2006 folgte der Schritt in die Selbstständigkeit. 2008 der erste Gipfel der Finanzkrise. Wieder stand alles Kopf. „Aber am tiefsten Punkt mag man auch nicht heim“, erinnert sich Thalhammer zurück.

Gegengift. Also blieb die heute 42-Jährige in New York. Ein „bisserl unrund“ sei sie nach den Rückschlägen doch gewesen. So versprach ihr ein Freund ein „Antidote“, ein Gegengift gegen ihre schlechte Laune. Aus dem Wortspiel wurde schnell Ernst. Am nächsten Tag sei sie mit einer Idee aufgewacht: „Was, wenn Schokolade das ,Antidote‘ gegen die Launen des Lebens ist?“

Sie ließ den Markennamen registrieren, kreierte in einem neunmonatigen Kraftakt fünf Geschmacksrichtungen in ihrer Küche sowie die passenden Verpackungen und steckte ihre letzten Ressourcen in einen dreimonatigen Trip zu Ecuadors Kakaoplantagen. „Ich hatte keine Ahnung von dem Business. Aber ich wusste, wie man ein Produkt macht. Und ich wollte endlich einmal nicht bloß die Verpackung, sondern auch das Innere kreieren.“ Im Juli 2010 lancierte „Antidote“ seine erste Produktpalette. Als Pionier der mittlerweile verbreiteten 50/50-Formel, bei der 50 Prozent rohe, 50 Prozent geröstete Schokolade im Riegel verarbeitet wird, wurde es fast augenblicklich zum Inventar der New Yorker Gesundheits- und Gourmetszene.


Wellness trifft Coolness. Auch Schokoladenherstellerin Konstanze Zeller war zuerst am Boden, bevor es für sie wieder nach oben ging. Nicht beruflich, sondern gesundheitlich. Vor vier Jahren war sie sehr krank. „Plötzlich war meine Stimme weg. Ich war hilflos.“ Eine Naturheilerin verschrieb ihr daraufhin eine siebenmonatige Detox-Kur. Nach einigen Wochen kam die Stimme zurück. Das Bewusstsein für gesunde Ernährung blieb.

Dadurch inspiriert begann sie sich in ihrer kleinen Küche im East Village intensiv mit der Herstellung von hundertprozentig roher Schokolade zu beschäftigen. An einem Wochenende im Herbst 2013 entstand ebendort nach Experimenten mit exotischen Zutaten wie peruanischer Schokolade, Himalaja-Salz, mexikanischem Chili, kalifornischen Mandeln und Kokosnusszucker ihre erste Produktlinie, die sie später „Cocorau“ taufen sollte. „Ich wollte etwas kreieren, das uns hilft, uns gesund zu ernähren, und gleichzeitig gut schmeckt. Und ich wollte ein cooles Produkt machen“, fügt sie leicht selbstironisch hinzu.

Kaum verwunderlich. Schließlich kommt auch Zeller aus der Kreativszene. Ursprünglich aus Salzburg, übernahm sie dort mit 21 den Friseurladen ihrer Mutter. Mit 23 folgte die Meisterprüfung. Mit 24 die Flucht aus der „langweiligen, engstirnigen Stadt“. Wie viele zog es sie 1993 nach Berlin. „Dort gab es keinen Reichtum, keine goldenen Fassaden“, schwärmt Zeller. Viel Arbeit gab es für Friseure in den Jahren nach der Wiedervereinigung jedoch auch nicht. So sattelte sie auf Make-up-Design um.

Und wechselte neben ihrem Beruf auch bald das Land. Eigentlich war Zeller 1997 nur auf Besuch in New York. Doch für sie stand fest: „Da will ich leben.“ Nach 17 Jahren in der Stadt hat sie für Szenegrößen wie Kevyn Aucoin und Steven Klein gearbeitet. Durch ihre geübten Stylistenhände gingen die Gesichter von Cher, Madonna und Gwyneth Paltrow. Heute ist sie selbst ein Name in New Yorks Make-up-Branche und freiberuflich von Set zu Set unterwegs.

Denn leben kann sie von ihren „Cocorau“-Rohschokoladenkreationen in Geschmacksrichtungen wie Matcha Grüntee, Espresso und Lavendel – ihren „Powerbites“, wie sie sie nennt – noch lang nicht. Sieben Tage in der Woche ist die 46-Jährige im Einsatz und pendelt zwischen Shootings und ihrer Produktionsküche. Für kreative Expansionen bleibt kein Spielraum. Zwar zahlt sie dank ehrenamtlichen Sponsorings für ihren Geschäftsraum im East Village nicht den dort üblichen Mietpreis von rund 10.000 Dollar im Monat. Trotzdem hat Zeller schon jetzt Angst vor dem Sommer – genauer gesagt vor den damit unweigerlich einhergehenden Stromrechnungen.

„Rohschokolade stirbt, sobald du sie erhitzt“, erklärt sie. Daher stehen in ihrer Produktionsküche auch keine hübsch verpackten Kartons, sondern riesige eiserne Kühlschränke und Klimaanlagen, die in der heißen Jahreszeit auf Hochtouren laufen.

Auch Thalhammer kennt diese Doppelbelastung. „Die ersten zwei Jahre kam noch kein Geld rein, Arbeitstage bis Mitternacht waren da Normalität.“ Dabei war ihr Unternehmen von Anfang auf größere Dimensionen ausgerichtet. Gleich zu Beginn lagerte „Antidote“ seine Produktion vollständig nach Ecuador aus. Dort werden die mittlerweile zehn Sorten mit zwischen 73 und 100 Prozent Kakaoanteil „bean to bar“ produziert und auch direkt für Absatzmärkte wie Japan oder Deutschland verschifft. Neben ihrem Job als kreativer Kopf der Schokoladenmarke, Brandmanagerin und Koordinatorin von Vertrieb und Verpackung fliegt Thalhammer auch selbst zwei- bis dreimal im Jahr zu ihren ecuadorianischen Plantagen. „Persönliche Qualitätskontrolle“ nennt sie das und sieht darin etwas sehr Österreichisches.


Expansion. Seit sie ihren Job als Verpackungskünstlerin 2012 endgültig aufgegeben hat, kann sie sich auf die ständige Verfeinerung der Schokoladenformel und des Designs konzentrieren. „Das ist wie in einem guten Restaurant. Das Gesamtpaket muss stimmen.“ In den USA und Teilen Asiens laufe der Vertrieb mittlerweile ausgezeichnet. Gerade ist „Antidote“ dabei, Europa zu erobern. Im Herbst soll eine „Antidote“-Milchschokoladenlinie folgen.

Derartige Expansionspläne sind für Zeller noch ferne Zukunftsmusik. Derzeit hat sie alle Hände voll zu tun, ihr Produkt auf dem New Yorker Markt zu positionieren. Gespräche mit Verkäufern an der West Coast, wo der Rohkost-Hype bereits viel fortgeschrittener ist, sind ebenfalls im Gang. Zeller ist optimistisch: „Wenn ich mit dem Marketing jetzt nichts falsch mache, bin ich genau am Puls der Zeit für diesen Gesundheitstrend.“

„Im Prinzip hängt alle Arbeit an mir“, fasst Thalhammer ihr Unternehmen zusammen. Dieser Satz könnte ebenso von Zeller stammen. Ihre Betriebe und Produkte haben zwar abgesehen vom landläufigen Überbegriff Schokolade nicht viel gemeinsam. Die Geschichten von „Cocorau“ und „Antidote“ verbinden jedoch die starken Persönlichkeiten hinter den Marken – ihre Lebensgeschichten und ihr Wille, sich in der Fremde eine zweite Karriere aufzubauen.

Steckbrief

Red Thalhammer
Die 42-jährige Oberösterreicherin studierte Design in Linz, ging 2002 nach New York und produziert dort ihre Schokoladenkreation „Antidote“.

Konstanze Zeller.
Die 47-Jährige übernahm in jungen Jahren das Friseurgeschäft ihrer Mutter in Salzburg, heute lebt Zeller als gefragte Stylistin in New York. „Cocorau“ heißen ihre Kreationen aus Rohschokolade.

Internet

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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