Srebrenica-Gedenken: „Sie wollten Vučić töten!“

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Empörung in Serbien nach der Attacke auf Premier Vučić bei der Trauerfeier. Das Hickhack um eine UN-Resolution hatte die Atmosphäre aufgeheizt.

Belgrad. Empört kommentierte die serbische Boulevardpresse am Sonntag den Angriff auf Serbiens Premier, Aleksandar Vučić, während der Gedenkfeier zum 20. Jahrestag des Srebrenica-Völkermordes am Samstag: „Attentat auf Vučić in Srebrenica!“, titelte das Boulevard-Blatt „Kurir“. „Sie versuchten Vučić zu töten!“, vermeldete nicht minder aufgebracht die Belgrader Gazette „Alo!“.

Zumindest Vučić selbst mühte sich nach seiner überstürzten Flucht von der Trauerfeier, kein weiteres Öl ins Feuer der erhitzten Gemüter zu gießen. Er wisse, dass die Mehrheit der muslimischen Bosniaken mit der „organisierten“ Attacke auf ihn nichts zu tun habe: „Jede Nation hat ihre Idioten, wir haben an ihnen auch keinen Mangel. Unsere Hand der Versöhnung gegenüber den Bosniaken bleibt ausgestreckt.“

Der Regierungschef war bei der Zeremonie am Samstag mit Steinen beworfen worden. Seine Brille wurde zerbrochen, er kam aber mit einer verletzten Lippe davon. Doch nicht nur die Brille des Premiers ging bei den schon im Vorfeld von heftigen politischen Turbulenzen überschatteten Feiern zum 20. Jahrestag des von bosnisch-serbischen Truppen begangenen Genozids zu Bruch. Das wochenlange Hickhack um eine von Serbien abgelehnte und mithilfe Russlands verhinderte UN-Resolution zu Srebrenica hatte die Atmosphäre genauso aufgeheizt wie das Tauziehen um den in der Schweiz zeitweise verhafteten muslimischen Srebrenica-Kommandanten Naser Orić oder das bizarre Verbot einer Trauerkundgebung für die Srebrenica-Opfer in Belgrad.

„Angriff auf unsere Würde“

Vučić hätte vorab seine Aussagen zu der UN-Resolution „mäßigen“ müssen, machte Hatidza Mehmedovic von der Opferorganisation Die Mütter von Srebrenica auch dessen Negierung des Völkermords für die aufgeheizte Stimmung verantwortlich: Die Ablehnung der UN-Resolution sei ein weiterer Affront gewesen. „Der Angriff auf Vučić war kein Angriff auf ihn, sondern auf die Opfer – und die Würde von uns allen“, sagte unter Tränen Munira Subasić, Vorsitzende des Verbands.

Für den Angriff seien keineswegs Anwohner oder Angehörige der Opfer, sondern Fußball-Hooligans auch aus Serbiens muslimisch besiedeltem Sandžak verantwortlich gewesen, versicherte Srebrenicas Bürgermeister, Camil Djurakovic. Niemals hätte er geglaubt, dass dies in Srebrenica möglich wäre: „Die Gewalttäter haben die Würde der Toten und dieses Ortes befleckt.“ (ros.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2015)

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