Chinas Wirtschaft als „Wackelpartie“

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Trotz Börsenabsturzes wächst Chinas Wirtschaft planmäßig um sieben Prozent. Doch Zweifel an diesen Zahlen sind angebracht. Auch für ausländische Unternehmen laufen die Geschäfte nicht mehr so blendend wie einst.

Peking. Als der deutsche Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler, Sigmar Gabriel, vor einem Jahr die Volksrepublik besuchte, hatten Ökonomen Chinas Wirtschaftserwartungen zwar schon heruntergeschraubt. Doch zumindest den Autobauern ging es im Reich der Mitte noch blendend. Volkswagen, Mercedes und BMW verzeichneten allesamt zweistellige Wachstumsraten.

Nun finden Gabriel und seine 65-köpfige Wirtschaftsdelegation bei ihrem Besuch in diesen Tagen in Peking eine Stimmung vor, die auf deutlich schwierigere Zeiten hindeutet. Der chinesische Autoverband hat seine Absatzprognose von sieben auf drei Prozent mehr als halbiert. Chinas Import schrumpft. Und nach einem völlig übertriebenen Börsenboom in der ersten Jahreshälfte sind die Aktienkurse in den vergangenen vier Wochen um zeitweise mehr als 30Prozent abgestürzt. Nur mit massiver Staatshilfe konnte die chinesische Führung die Kurse wieder stabilisieren. „Die einstmals riesigen Wachstumszahlen sinken“, bemerkte Gabriel am Dienstagabend nach Gesprächen mit chinesischen Ministern.

Zweifel an Chinas Zahlen

Dabei sehen Chinas offizielle Daten auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Das Statistikamt in Peking teilte am Mittwoch mit, dass die chinesische Wirtschaft im zweiten Quartal um sieben Prozent gewachsen ist, exakt so viel, wie sich die chinesische Führung zu Jahresbeginn vorgenommen hatte. Unabhängige Ökonomen rechneten mit einem schwächeren Wert.

Zweifel an den offiziellen Zahlen in China waren schon immer angebracht. Doch die Punktlandung dieses Mal ist schon sehr verdächtig. Tatsächlich weisen andere Indikatoren seit Jahresbeginn auf eine sehr viel schwächere Entwicklung hin. Der Import ist um 15Prozent gefallen. Die Stromproduktion ist lediglich um 1,1Prozent gestiegen. Vor allem Chinas große Staatsunternehmen weisen erhebliche Überkapazitäten auf. Das Statistikamt führt das Wachstum hingegen vor allem auf die „steigende Kauflaune der Verbraucher“ zurück.

Die Zahl möge sich im Einklang mit den Prognosen befinden, sagt Yu Fenghui, Ökonom an der Agricultural Bank of China (ABC). Er ist sich jedoch sicher: „Sieben Prozent wirken angesichts schwacher Fundamentaldaten zu hoch.“

Zu allem Übel hat die chinesische Führung vor zwei Wochen ein neues Sicherheitsgesetz verabschiedet, das nicht nur Bürgerrechtlern, sondern auch ausländischen Unternehmern in China große Sorge bereitet („Die Presse“ berichtete). Denn dieses neue Gesetz ermächtigt die Polizeibehörden zu umfassenden Kontrollen des Datenverkehrs und sogar zu einer Abschaltung des kompletten Internets. Unternehmen sollen einem weiteren Gesetzentwurf zufolge zudem verpflichtet werden, die Quellcodes ihrer Firmensoftware herauszugeben.

Deutscher Wirtschaftsminister „besorgt“

Der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel soll sich Delegationsteilnehmern zufolge „sehr besorgt“ über diese Pläne gezeigt haben – zumal China mit der deutschen Wirtschaft eine Kooperation bei der Industrie4.0 genannten Vernetzung von Produktionsketten anstrebt. Gabriel hat in China ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Sollten Chinas Sicherheitsorgane sich durchsetzen, sieht er einer solchen Zusammenarbeit skeptisch entgegen.

Auch der gesamtwirtschaftliche Ausblick auf das zweite Halbjahr stimmt Ökonomen pessimistisch. Die Wirtschaft leide derzeit unter einem halb garen Strukturwandel, kritisiert Volkswirt Yu. Zahlreiche Reformen würden nicht konsequent umgesetzt. Als Beispiel nennt er die chinesischen Aktienmärkte. Ursprünglich hatte Chinas Ministerpräsident, Li Keqiang, versprochen, durch die Einführung von Marktkräften mehr Effizienz ins chinesische Finanzsystem zu bringen und die großen Staatsunternehmen zu privatisieren. Nach dem Kursabsturz der vergangenen drei Wochen greift die chinesische Führung aber wieder zu ihren alten Mitteln: Um einen weiteren Verfall zu verhindern, wurden staatliche Anlagehäuser dazu verpflichtet, Aktien in großem Stil zu kaufen. „Marktwirtschaft sieht anders aus“, bemängelt Yu.

Nur wenn die nächste Runde von Reformen sehr schnell greift, könne bereits im vierten Quartal dieses Jahres der Aufschwung wieder richtig greifen, ist sich der Ökonom sicher. Bis dahin bleibe Chinas weitere wirtschaftliche Entwicklung eine „Wackelpartie“.

AUF EINEN BLICK

Alles wieder gut in China, sagen die staatlichen Stellen nach dem dramatischen Börsencrash. Die chinesische Wirtschaft sei im zweiten Quartal des Jahres wie geplant um sieben Prozent gewachsen, die Aktienkurse hätten sich stabilisiert. Doch bei den offiziellen Zahlen ist Zweifel angebracht. Denn andere Indikatoren weisen seit Jahresbeginn auf eine sehr viel schwächere Entwicklung hin. Der Import ist um 15Prozent gefallen, die Stromproduktion ist lediglich um 1,1Prozent gestiegen. Und auch die einst florierende Autoindustrie musste ihre Zahlen nach unten revidieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2015)

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