Steirisches Salzkammergut: In Altaussee ist der Igel gelandet

(c) Museum Joanneum/ ULRICH GHEZZI
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In der „Alpenfestung“ der Nazis gab es Widerstand, auf dem Berg und auch im Tal. Das Kunstprojekt „Politische Landschaft“ erinnert daran – mit Werken, die ihre Aura vor allem aus den Ausstellungsorten ziehen.

Positionen“ sagt man in der Kunstwelt neuerdings etwas affektiert für Werke bzw. Künstler. Hoch über Altaussee, am Südhang des Hinteren Raucher, steht neuerdings ein Kunstwerk, dessen Position wirklich wesentlich ist: GPS N 47° 41,135; O 13° 45,371; 1280 Meter über dem Meeresspiegel. Dorthin, in eine kleine Mulde über dem Abgrund, zogen sich Verfolgte, teils aus Konzentrationslagern entkommen, und Gegner des NS-Regimes im Frühjahr 1944 zurück, versorgt von den Frauen im Tal, in steter Angst vor der Entdeckung durch die Nazis.

Weil beim Bau des Unterschlupfs ein Igel auftauchte, nannten die Männer den Ort nach ihm. „Igel“ nennt auch die Salzburger Künstlerin Eva Grubinger ein Objekt von der Größe eines Hockers, aus schwarz lasiertem Eichenholz. Genauer: drei gleiche Objekte. Eines steht in der Kunsthalle Graz, eines im Kurpark Altaussee, eines im Gebirge. Es ist schwer zugänglich; die Künstler, Journalisten und Ausseer, die am vergangenen Sonntag den schmalen, steilen, ausgesetzten Naglsteig teils auf allen Vieren emporstiegen, waren zittrig und schweißgebadet, als sie es endlich sahen. „Die Kunst macht's uns nicht leicht“, sagte einer – und wollte sich schon auf den Igel setzen, Grubinger verwehrte es ihm.

Nein, der Igel auf dem Berg ist nicht größer oder imposanter als seine Brüder im Tal und in der Stadt (im Gegenteil, seine Lasur beginnt schon zu blättern), und die Geschichte, die an ihm hängt, ist naturgemäß dieselbe. Aber seine Position ist eine andere, sie ist historisch immens aufgeladen, und so ist er es auch. Dazu kommen die Strapazen, die man auf sich nehmen muss, um ihn zu sehen: Auch sie sind Teil seiner Aura.

„Politische Landschaften“ heißt das Projekt, das Grubinger initiiert hat, man kann das vielleicht so verstehen: Landschaften sind nicht per se politisch, Berge sind genauso wenig faschistisch wie Ebenen liberal, aber die Geschichte kann sie politisch aufladen, das spürt man, wenn man's weiß. Und diese Aufladung kann sich auf das in der Landschaft positionierte Objekt übertragen.

Bei der Kerry-Villa: Lärchen in Beton

Damit spielt dieses Projekt: Die sechs Werke sind alle doppelt (oder, rechnet man Graz mit, dreifach) aufgestellt: einmal oben, einmal unten. Angelica Loderers „Lärchen und Steine“ etwa am Fuß des Loser, bei der Kerry-Villa, wo die jüdische Künstlerin Christl Kerry lebte (mit der US-Außenminister John Kerry verwandt ist), bis die SS die Villa in Beschlag nahm. Und einmal bei der Ischler Hütte, wo – bedrohlich für die unweit davon am „Igel“ lagernden Widerständler – die Nazis saßen. Die Symbolik ist schlicht und effektiv: Die Pflanzen sind im Beton eingezwängt, schaffen sie es, ihn zu sprengen? Oben eher als unten? Man möchte das gern verfolgen. Aber wie oft kommt man schon hinauf?

Am Loser: Muschel aus Neuseeland

Noch schwerer zugänglich, noch ausgesetzter, über der Weißen Wand am Loser, ist eine Hälfte einer Riesenmuschel aus Neuseeland, die Bojan Šarčević zu seinem Kunstwerk gemacht hat. Eigentlich ist diese Muschel als gefährdete Art geschützt, dürfte nicht eingeführt werden. Doch es gelang, ein vom Zoll beschlagnahmtes Einzelstück für Aussee zu requirieren. Jetzt heißt die zugereiste Muschel „The Partisan“, was nicht wirklich stimmig ist. Ihre zweite Hälfte hängt an einer Straßenunterführung, an einem urbanen, öden, (zumindest bis jetzt) geschichtsfreien Ort.

Eine (bisher) unbenutzte Höhle am Naglsteig nennt der bayrische Künstler Florian Hüttner „Schildkröte“, er hat an die Wand ein Propagandamotiv aus dem Partisanenkampf in der Ukraine gemalt: „Partisanen, zu den Waffen“, steht darauf und, ein wenig verstörend: „Für das Vaterland, für Ehre und Freiheit, für Stalin!“

Kann man die am „Igel“ verschanzten NS-Gegner denn Partisanen nennen, obwohl sie gar nicht zum aktiven Widerstand kamen? Darüber wurde schon bei der ersten Begehung der Kunstwerke diskutiert. Auch darüber, ob im Ausseerland, von den Nazis als „Alpenfestung“ erkoren, besonders viele NS-Sympathisanten lebten. Nein, sagt der stets in Tracht gekleidete Ausseer Helmut Kalss, der seine Dissertation über den Widerstand geschrieben hat: In seiner Heimat gebe es eine lange Tradition des Aufbegehrens gegen die Obrigkeit. Aber es waren doch offensichtlich viele, auch hohe Nazis in Aussee? „Ja, auf Urlaub“, antwortet Kalss sentenziös: „Weil's hier so schön ist.“

Am Toplitzsee: Lied mit salzigen Tränen

Schön ist auch das Lied „Slow, Fresh Font“ nach einem Gedicht von Ben Jonson. Die Schottin Susan Philipsz lässt es im ehemaligen Salzbergwerk Altaussee und am Toplitzsee erklingen. Die Orte sind historisch beladen – im Bergwerk versteckte das NS-Regime Kunstgüter, im See versenkte es zwar kein Gold, aber Falschgeld – aber das Lied? Nun, die „salt tears“ würden an das Salz aus dem Bergwerk erinnern, meinte der wortgewaltige Kurator Dirck Möllmann...

Ein weiterer Lautsprecher steht auf der Blaa-Alm, aufgestellt vom Duo Clegg & Guttmann. Dort soll man Lesungen hören, die im Tal, im Literaturmuseum Altaussee, stattfinden, aus einem Bücherregal, das Clegg & Guttmann dort aufgestellt und für das „kollektive Gedächtnis der Zeit um 1945“ reserviert haben. Diese Intervention wirkt in einem so literarisch aktiven – und durchaus auch mit seiner Geschichte befassten – Ort wie Altaussee doch ein wenig simpel.

„Politische Landschaft“ ist ein Projekt des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, in Kooperation mit dem Kunsthaus Graz, wo heuer mehrere Ausstellungen zum Thema Landschaft laufen.

Am 18.Juli findet die nächste geführte Tour zum „Igel“ statt, und Barbara Frischmuth liest im Laden Buch & Boot, das wird live auf die Blaa-Alm übertragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2015)

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