Das erbarmungslose Diktat der politisch ach so Korrekten

Immer öfter hört man die bange Frage: „Darf man das heute noch sagen?“

Die Political Correctness ist von eiserner Konsequenz und erbarmungslos“. Diese Feststellung von Hans Winkler in seiner „Presse“-Kolumne „Déjà-vu“ beschreibt treffsicher das erbarmungslose Diktat unseres völlig missverstandenen Zeitgeistes. Im Sumpf des C-Diktats blühen komische und unlogische Gewächse.

So will die sogenannte progressive Pädagogik verbieten, von schwer erziehbaren Kindern zu sprechen. Zuerst durfte man die lieben Jugendlichen, die andere halb tot prügeln, verhaltensauffällig nennen; jetzt darf man diese Jugendlichen, die selbst ihre Lehrer bedrohen, nur noch verhaltensoriginell nennen. Wahrhaft originell. Die Liste der skurrilen, widersprüchlichen Auswüchse könnte man ellenlang fortführen.

Umberto Eco hat den PC-Unsinn auf den Punkt gebracht. Er schrieb sinngemäß: Die politische Korrektheit ist dazu da, das zugrunde liegende ungelöste Problem sprachlich zu kaschieren.

Die PC-Geschichte ist nicht neu. Sie erreichte uns Anfang der 1960er-Jahre aus den USA, als die US-Bürgerrechtsbewegung den Schlachtruf „politically correct“ erfand. Im Kampf gegen echte, aber auch angebliche Diskriminierung von Minderheiten forderten Linke, Schwarze und Feministinnen vehement eine veränderte Sprache.

Anfang 1960 haben Studenten der Universität Kalifornien verlangt, dass „Werke von toten, weißen europäischen Männern“ nicht mehr unterrichtet werden. Ironischerweise waren damit die Philosophen der deutschen und französischen Aufklärung gemeint. Statt Kant und Voltaire wollten die Studenten „weibliche und außereuropäische Autoren“ kennenlernen.

Penetrante Dummheit

Gegen die penetrante Dummheit wandten sich schon damals namhafte Journalisten, so auch Richard Bernstein, Sohn europäischer Migranten. Er setzte am 27.Oktober 1990 in der „New York Times“ die sinnlosen Auswüchse der PC mit „Orthodoxie“, „Faschismus“, „Fundamentalismus“, ja sogar mit „Tyrannei“ gleich.

Die PC-DiktatorInnen

Auch in europäischen liberalen Medien, wie in der „Süddeutschen Zeitung“, wurden die PC-Übertreibungen kritisiert. Dort stand unter dem Titel „Multi-kultureller Joghurt“ zu lesen: „In amerikanischen Universitäten greift ein neuer Sprach-Terror um sich.“ Auch „Der Spiegel“ entdeckte an US-Universitäten eine „Sprach- und Denkpolizei radikaler Minderheiten, die Vorlesungsverzeichnisse kontrollieren“. Die linksliberale Wochenzeitung „Die Zeit“ kommentierte: „PC – oder: Da hört die Gemütlichkeit auf“.

Zu den dümmlichen PC-Auswüchsen einer völlig missverstandenen Emanzipation gehört das viel belächelte Binnen-I. Die Verfechter dieser Sonderlichkeit verwenden das Binnen-I nur bei positiven Inhalten; ArbeitnehmerInnen geht, aber von TerroristInnen wollen sie nichts wissen. Die PC-DiktatorInnen machen sich vor allem eines: lächerlich.

Gewiss, hinter dem abwertenden Wort „Nigger“ versteckt sich purer Rassismus. Gut, also nicht „Nigger“, und auch nicht „Negro“. Dann durfte man „black“ sagen, wenn auch nicht lange. Das nächste Gebot hieß „afro-american“. Dass es sich dabei durchaus um – wenn auch nur ungewollten – Rassismus handelt, Menschen nach ihrer Herkunft und Hautfarbe zu bezeichnen, das fiel den PC-Vorbetern gar nicht auf.

Die PC-Verfechter wollen die von ihrer Meinung abweichende Sprache und andere Meinungen verbieten. Einem Gottesurteil ähnlich hört man auch bei uns immer öfter die bange Frage: „Darf man das denn heute noch sagen?“

Peter Stiegnitz (geboren 1936 in Budapest) studierte in Wien Soziologie, Philosophie, Psychologie und Ethnologie. Em. Prof. der Universität Budapest und Bundesbeamter.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2015)

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