Asyl: Wien setzt auf private Vermieter bei Quartiersuche

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Fonds Soziales Wien sieht private Quartiere als „Schlüssel im Umgang mit steigenden Flüchtlingszahlen“.

Wien. Nicholas schläft seit drei Monaten bei Barbara auf der Couch. Barbara Theiler ist Biotechnologin und reist viel. Die Wohnung der 28-Jährigen steht oft monatelang leer, darum hat sie sich einen Mitbewohner gesucht. Nicholas Mbah ist 24 Jahre alt, floh mit 16 aus seiner Heimat Nigeria. Seit einem Jahr darf er sich legal in Österreich aufhalten und versucht seitdem, sich ein Leben aufzubauen. Er holte den Pflichtschulabschluss nach und lernt jeden Tag Deutsch.

Nicholas hat nur erstklassige Noten, arbeitet stundenweise für eine Leiharbeitsfirma als Küchenhilfe. Sein großer Traum: eine Lehrstelle als Koch zu finden. Barbara hilft ihm dabei. Kennen gelernt haben sich die beiden über das Projekt Flüchtlinge willkommen, eine Plattform, die wohnungssuchende Flüchtlinge mit jenen zusammenspannt, die einen Platz anbieten wollen. Die Stadt Wien hat sich das Projekt zum Vorbild genommen und will mit diesem Konzept die Flüchtlingsfrage in der Hauptstadt lösen: „Für mich ist die Vermittlung von Privatquartieren der Schlüssel im Umgang mit steigenden Flüchtlingszahlen“, sagt Thomas Trattner vom Fonds Soziales Wien, der für die Unterbringung von Flüchtlingen, die in der Obhut des Landes sind, zuständig ist.

Mietverträge als Hindernis

Für heuer werden aufgrund der Kriegsgebiete in Syrien, Afghanistan, dem Irak und Somalia österreichweit 80.000 Asylanträge erwartet. Rund 350 Neuanträge gibt es derzeit pro Tag. Bund und Länder schaffen es derzeit nicht, genügend Quartiere zu organisieren, die Flüchtlinge schlafen in Zelten, teilweise im Freien. Das Flüchtlingslager Traiskirchen verzeichnete am Donnerstag einen neuen Rekord: 3900 Menschen sind derzeit dort (siehe unten). „Wir brauchen keine Sachspenden, wir haben genug Essen und Kleidung, wir brauchen nur Plätze, Plätze, Plätze“, sagte Gernot Maier vom Innenministerium vergangene Woche bei einem Presse-Termin in Traiskirchen. Um Privatquartiere zu akquirieren, arbeitet der FSW auf Hochtouren am Aufbau einer Vermittlungsplattform, die auf der Website wien.gv.at präsentiert werden soll.

„Das Engagement der Bevölkerung ist groß, es melden sich eigentlich dauernd Menschen mit Wohnungen oder Zimmern“, sagt Trattner. Bisher gab es aber in Wien keine zentrale Anlaufstelle, die sich um diese Angebote kümmerte. In Niederösterreich und Oberösterreich gibt es das bereits seit Monaten. Wer in Wien bisher Flüchtlingen Plätze anbieten wollte, konnte sich nur offiziell als Flüchtlingsunterkunft mit allen dazugehörigen Auflagen anmelden. Schnelle, spontane – und auch kurzfristige – Vermietung war nicht möglich. Ein Grund dafür, warum Angebote ungenutzt blieben, war der Mietvertrag, der zwischen den Parteien abgeschlossen werden musste. Diesen müssen Flüchtlinge bei der Stadt vorweisen, um weiter den Wohnzuschuss aus der Grundversorgung beziehen zu können. Er beträgt 120 Euro pro Monat. Insgesamt hat ein Asylwerber 320 Euro pro Monat zur Verfügung. Einen Mietvertrag erstellen zu lassen ist erstens kostspielig, zweitens kann dieser nicht auf weniger als drei Jahre befristet werden. Im Gegensatz dazu sollte ein Asylverfahren laut Gesetz nicht länger als ein halbes Jahr dauern. Künftig soll laut Trattner eine Vermietung für wenige Monate möglich sein: „Wir wollen das so flexibel wie möglich gestalten – und werden für jeden Fall eine passende Konstruktion finden.“

Sei es, dass eine NGO als Mieter auftritt, um dem Vermieter mehr Sicherheit zu bieten – oder, dass unkomplizierte Nutzungsvereinbarungen oder Prekariumsvertäge abgeschlossen werden. „Wir brauchen die privaten Vermieter, um mit dem Ansturm klarzukommen“, sagt Trattner. Dazu sind kleine Quartiere in vielerlei Hinsicht sinnvoll – die Neuankömmlinge würden schneller Anschluss finden und besser die Sprache lernen. „Das alles kann aber nur funktionieren, wenn wir sowohl Vermieter als auch Flüchtlinge gut beraten, das haben uns die Erfahrungen der vergangenen Monate gezeigt“, sagt Trattner. Auch bisher seien viele Angebote eingetrudelt, die dann an die NGOs weitergeleitet wurden – teilweise im Sand verlaufen sind. Wie wichtig eine gute Betreuung ist, weiß auch Barbara nach ihren ersten Monaten mit Nicholas: „Für die Flüchtlinge sind rechtliche wie soziale Betreuung in Form einer Ansprechperson sehr wichtig. Wenn man will, dass das Zusammenleben gut funktioniert, muss man viel Zeit investieren“, sagt sie. Vieles sei für Nicholas neu, darum müsse man viel erklären, viel miteinander sprechen – und dann gebe es da natürlich auch noch die Diskussionen, die es wohl in jeder WG gibt: Wer kocht, wer saugt, wer wäscht ab. Bereut habe sie die Entscheidung aber nie.

80 Prozent wohnen schon privat

Dass auch Flüchtlinge lieber privat wohnen, zeigen die Zahlen: Derzeit gibt es in Wien rund 9500 Grundversorgungsbezieher. Darunter sind neben den Asylwerbern rund 2500 Personen, die subsidiären Schutz – also Asyl auf Zeit – erhalten haben, sowie 1500 Menschen, die gerade erst Asyl bekommen haben – sowie Menschen mit negativem Bescheid, die auf ihre Abschiebung warten. Rund 80 Prozent der Grundversorgungsbezieher leben derzeit schon in Privatwohnungen, die sie selbst oder die NGOs organisiert haben. Wie derartige Unterkünfte aussehen, für die eine Person monatlich nur 120 Euro bezahlen kann, weiß Trattner nicht. „Bei uns wird es auf jeden Fall Kontrollen geben, damit es keine Massenunterkünfte gibt“, sagt er. Günstige Wohnungen werden auch für Flüchtlinge gesucht, die bereits Asyl zugesprochen bekommen haben, da deren finanzielle Situation vor allem am Anfang alles andere als rosig ist. 70 Prozent aller Menschen, die in Österreich einen positiven Asylbescheid bekommen, ziehen nach Abschluss des Verfahrens nach Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2015)

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