Häupls Albtraum, Straches Helfer

Eine Migrantenpartei bei der Wien-Wahl ist ein statistisch logisches und legitimes Projekt. Ihre Nähe zu Erdoğan verspricht aber Nebenwirkungen.

Kennen Sie Turgay Taşkiran? Vermutlich nicht, aber das könnte sich bald ändern. Der türkischstämmige Arzt aus Simmering will nämlich realisieren, was in Wien, rein statistisch betrachtet, schon längst hätte passieren können: die Gründung einer Migrantenpartei. Immerhin haben laut Statistik Austria 40,7 Prozent der Wiener Migrationshintergrund. Trotzdem hat es bisher stets nur für vage Parteigerüchte gereicht – zuletzt 2010 rund um die ÖVP-Gemeinderätin Sirvan Ekici.

Dass es nun anders, also wahr werden soll, hängt mit dem Umfeld von Taşkiran zusammen: konkret mit der Unterstützung der UETD, der hiesigen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die dem türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, und seiner AKP nahesteht. Taşkiran war nämlich einige Zeit UETD-Vorstandsvorsitzender. Das macht die mögliche neue Partei einerseits relevant: Denn als Erdoğan 2014 Wien besuchte, zeigte die UETD, dass sie mobilisieren kann. Andererseits irritiert genau das: die zwar offiziell dementierte, aber anzunehmende Nähe zur türkischen Politik. Denn sie gibt dem neuen Projekt einen Drall. Es ist keine generelle Stimme der Migranten, sondern die einer bestimmten Gruppe. Dass Erdoğan globale Schutzherrambitionen für Türkischstämmige hat (auch solche, die deutsche oder österreichische Staatsbürger sind), weiß man. Dass sich seine Vorstellung von Demokratie und Rechtsstaat leider nicht mit der hiesigen deckt, auch. Nur was das für das Profil der neuen Partei heißt, ist offen.

Vielleicht hilft ein Blick nach Deutschland. Dort versucht seit 2010 die Migrantenpartei BIG (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit) ihr Glück bei Landtagswahlen. BIG wurde dabei von der UETD unterstützt (verneint aber jegliche Nähe zur AKP). Inhaltlich setzte man auf Chancengleichheit für Migranten, kämpfte aber gleichzeitig mit homophoben Sprüchen. Grob vereinfacht könnte man sagen, BIG steht für: muslimisch, türkisch, konservativ– und für ein Scheitern am Wahltag. An den Urnen war BIG nämlich kaum ein Erfolg. Und das ist wohl auch der Grund, warum es in Wien eben nicht schon längst eine Migrantenpartei gibt. Das statistische Potenzial lässt sich nicht eins zu eins in die Praxis übersetzen. Denn Wien hat weder eine geeinte Migranten- noch eine homogene türkische Community. Wird sich ein Wiener mit serbischen Wurzeln mit einer vorrangig türkischen Partei identifizieren? Werden Aleviten und Kurden in Scharen zu den Wahlurnen laufen? Eher nicht. Auch polarisieren Erdoğan und UETD (zu) stark, und Taşkiran wirkt nicht wie einer, der all diese Unterschiede einfach wegwischen kann.


Aber auch wenn er den Einzug ins Rathaus nicht schafft, würde er einer Partei wehtun: der SPÖ. Und zwar gleich auf zweifache Weise: einerseits, weil Taşkiran aus dem roten Wahlteich schöpft. Laut einer Sora-Umfrage (von 2008) wählten 60 Prozent der austrotürkischen Arbeitnehmer bei der Wiener Gemeinderatswahl die SPÖ, auch wenn – das eben wäre Taşkirans Chance – vermutlich nicht alle roten gesellschaftspolitischen Forderungen zu ihrem Weltbild passen.

Andererseits darf sich auch Häupls Konkurrent Heinz-Christian Strache freuen. Sollte die neue Partei antreten, wäre das ein Wahlkampfpräsent. Umgehend würde man das neue Projekt als Beweis für das liebste blaue Drohszenario – die Türken übernehmen Wien – inszenieren. Dabei will Taşkiran eigentlich genau das Gegenteil erreichen: Die Partei sei eine Reaktion auf Rot-Blau im Burgenland, erklärt er, und gegen einen befürchteten Rechtsruck gerichtet. Absicht und Wirkung werden aber ziemlich auseinanderklaffen. Auch mit einer weiteren Botschaft wird Taşkiran wohl keinen Erfolg haben. Die Forderung nach einer besseren Asylpolitik ist zwar berechtigt, wird aber seine Zielgruppe nicht mobilisieren. Denn genauer als die Innenministerin unterscheidet man zwischen hüben und drüben: zwischen Flüchtling und Migrant oder vielmehr: Österreicher mit Wurzeln im Ausland. Und das ist auch ein Haupthemmnis für die neue Partei: Wer hart daran gearbeitet hart, eben nicht mehr in erster Linie als „der Migrant/die Migrantin“ wahrgenommen zu werden, will sich nicht von einer Partei wieder genau diesen Stempel aufdrücken lassen.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2015)

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